Im rasenden Zug - kurz vor dem Aufprall

»Paradies spielen (abendland. ein Abgesang)« von Thomas Köck am Hans-Otto-Theater in Potsdam

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 3 Min.

Einen »Hasskommentar-Attentäter« hat man den 32-jährigen Autor genannt, der sich an den Texten von Elfriede Jelinek orientiert, und unter anderem mit dem Kleist-Förderpreis und dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet worden ist. »Abgesang« steht im Titel dieser »Hasskommentare«, und ganz offensichtlich ist das ein Abgesang auf den aus den Fugen geratenen Kapitalismus und die Illusion von dessen ungebrochener Erneuerungsfähigkeit.

Neben kurzen abgehackten Sätzen stehen sinnreiche Bildmetaphern. So wie die vom rasenden Zug, der ohne Halt durch die Bahnhöfe donnert und irgendwann gegen die Wand prallen wird, oder von der ziellos »eiernden Welt«, die ihre Fahrtrichtung verloren hat. Wer dächte da nicht an die Überlebenskämpfe des schlingernden Spätkapitalismus.

Aus der Flut von Worten und Bildern lassen sich drei Handlungsstränge herauslesen: Ein Mann, der wie Prometheus Retter sein wollte, hat einen Brandanschlag gegen sich selbst verübt und liegt nun auf der Intensivstation. Eine Gruppe Reisender sitzt im rasenden Zug und vertieft sich in philosophische Debatten etwa über die Frage, ob schnelle Veränderungen oder Stillstand dem Gemeinwesen förderlicher sind. Zwei chinesische Wanderarbeiter wollen nach ihrer Flucht aus der smogbelasteten Heimat in einer Textilfabrik im italienischen Prato ein neues Leben anfangen, erkennen aber, dass es keine Insel der Glückseligen gibt und auch in Prato Ausbeutung und Demütigung herrschen.

Der Titel »Paradies spielen« erfährt eine schrille Umkehrung: Nicht das Paradies wartet auf uns, sondern das Chaos. Textpartikel und Bilderfindungen wiederholen sich ständig und kehren in anderen Zusammenhängen wieder. Das Motiv vom selbst ernannten Retter Prometheus, der Europa das Feuer bringen wollte und nun an den Schläuchen einer lebensverlängernden Maschine hängt, findet seine aktuelle Entsprechung im Bild vom Hoffnungsträger, der in den Grenzzäunen der Abschottung verblutet. Das Bild von den im Kreis um die Welt fahrenden Waren und dem damit zusammenhängenden Gesichtsverlust des Menschen gewinnt eine neue Gestalt im Monolog des Kondukteurs, der nicht mehr weiß, ob er noch ein Mensch ist oder schon eine leblose »Ansage« auf zwei Beinen.

Regisseur Moritz Peter greift den Gedanken vom verhängnisvollen Sündenfall des Menschen in seiner Bühnenraumlösung auf. Auf Videoprojektionen über den Köpfen der Akteure sehen wir nacheinander Höhlenzeichnungen und einen Müllberg in Afrika, auf dem Elektroschrott aus Europa überquillt - Anfang und Ende menschlicher Kultur.

Das Spiel beginnt mit dem Besuch des Sohnes im Sterbezimmer des Vaters. Jonas Götzinger spielt ihn im Taumel zwischen Verzweiflung und Entschlusskraft. Anfangs »traut« er sich nicht, ins Zimmer hineinzugehen, am Ende stellt er sich dem grauenvollen Bild. Gleiches tut der Chor, der auf der gegenüberliegenden Schräge postiert ist und als Ärztekollegium die Überlebenschancen des Kranken im Streit erörtert. Das Problem von Stück und Inszenierung: ohne Auskunft über den biografischem Hintergrund und die gegenwärtige Lebenssituation der Sprechenden verhallen die Texte als unpersönliche Klangfetzen und Bekenntnissplitter im Raum.

Eine individualisierte Geschichte liefert dagegen Jon-Kaare Koppe als chinesischer Wanderarbeiter. Wie er sich dem Ausstiegswillen seiner Frau entgegenstellt, trotzig das von ihm gefertigte Textilstück faltet und sich zur Weiterarbeit entschließt - müde und ausgelaugt und dennoch mit Selbstbehauptungswillen -, das hat tragische Dimension. Auch schauspielerisch ist das ein wohltuender Ruhepunkt inmitten der kollektiven Daueranstrengung um ihn herum. Im Gegensatz auch zu dem stimmlichen und gestischen Aufwand, mit dem der Darsteller des Kondukteurs, Arne Lenk, seine Verzweiflung über das verlorene Ziel der Reise herausschreit. Insgesamt aber ein Abend großen emotionalen Engagements.

Nächste Aufführungen: 7., 20., 31. Oktober, 10. November. Hans-Otto-Theater, Schiffbauergasse 11, Potsdam.

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