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Anwohner protestieren gegen rechten Marsch
Tausend Bürger stellen sich Neonazis in Berlin in den Weg
Der Europaplatz füllt sich. Nach einem kurzen Platzregen kommen einige Gruppen Rechtsextremisten aus dem Hauptbahnhof. Viele haben Fahnen mitgebracht - einige die vom Veranstalter gewünschten schwarz-rot-gelben, andere aber auch schwarz-weiß-rote. Der Start des Marschs verzögert sich auf den späten Nachmittag, da sich Antifaschisten spontan auf der Route versammelt haben. Sie werden von der Polizei gebeten, diese zu verlassen. Vereinzelt werden »Merkel muss weg«-Sprechchöre angestimmt. Gegen 16 Uhr formiert sich der Aufmarsch und will losgehen - wie weit er kommen wird, ist wegen des Redaktionsschlusses dieser Seite nicht klar.
Bis dahin versammeln sich jedoch mehr als 1000 Rechtsextremisten, AfDler, Neonazis und Hooligans. Damit kamen deutlich mehr Rechte, als erwartet wurde. Waren es bei der ersten Demonstration unter dem Motto »Merkel muss weg« noch rund 3000 Teilnehmer, so kamen im Frühjahr nur noch 450 zu dem Aufmarsch des Vereins. Auch eine regelmäßige Demonstrationsreihe im Stil von Pegida immer montags verebbte mit geringen Teilnehmerzahlen.
Der Aufmarsch der Rechten geschah aber nicht ohne Gegenproteste: Auf einer Kundgebung, die von Anwohnern organisiert und an der geplanten Route der Rechtsextremisten angemeldet wurde, kamen mehr als 1000 Anwohner und Antifaschisten zusammen, um gegen den Aufmarsch zu protestieren.
»Das ist unser Kiez«, sagte die Mitorganisatorin Tina Bonarius von der »Anwohner_inneninitiative für Zivilcourage gegen Rechts«. Diese hatte die Kundgebung organisiert. Mit einem Programm aus Musik, Lesung und Redebeiträgen wollen sie sich den Rechten entgegenstellen. »Die haben hier nichts zu suchen«, sagte Bonarius. »Wir wollen denen heute die rote Karte zeigen.« Und das meinen sie wortwörtlich: Sie haben viel rote Pappe selbst mitgebracht.
Unterstützt werden sie dabei von der Mobilisierungsplattform »Berlin gegen Nazis« (BgN). »Ein wichtiger Punkt bei solchen Protesten ist, dass den Rechten widersprochen wird und ein Zeichen gesetzt wird«, sagte Ulf Balmer, Projektleiter bei BgN. Deswegen wäre eine gute Mobilisierung und ein lautstarker Protest gegen »Wir für Deutschland« heute ein Erfolg. Doch es gab auch Schwierigkeiten: Die Kundgebung wurde von der Polizei von dem eigentlich angemeldeten Platz auf eine unattraktivere Nebenstraße verlegt. Grund dafür seien Sicherheitsbedenken gewesen, hieß es. »Das erschwert die Proteste«, kritisierte Balmer.
Diese Bedenken könnten allerdings begründet sein: Die vor Kurzem von den Sicherheitsbehörden aufgedeckte rechtsextreme Terrorzelle »Revolution Chemnitz« hatte für die Einheitsfeierlichkeiten Anschläge geplant. Ob dies auch im Zusammenhang mit dem »Wir-für-Deutschland«-Aufmarsch stand, kann noch nicht gesagt werden. An dem rechtsextremen Marsch beteiligten sich aber auch viele aggressive Hooligans, die aus demselben Milieu kommen wie die Terrorverdächtigen. Das Auffliegen der rechten Zelle schuf Aufmerksamkeit für den Aufmarsch. »Wir haben bemerkt, dass es internationale Anfragen gibt«, so Balmer. Dabei sei es nicht explizit um die rechten Terroristen gegangen, dennoch habe die Presse die Situation wahrgenommen und sei interessiert gewesen.
Derweil lernen rechte Gruppen in Berlin voneinander: Nachdem der sogenannte Rudolf-Heß-Marsch im August in Spandau wegen des Gegenprotests unattraktiv gemacht wurde, wichen die Neonazis spontan nach Friedrichhain aus und konnten marschieren. Anfang der Woche wurde öffentlich, dass auch »Wir für Deutschland« diese Strategie verfolgt: Der Verein meldete eine weitere Demonstration am Abend vom Alexanderplatz zur Warschauer Straße durch das alternative Friedrichshain an. Ziel könnte es sein, Gegenprotest zu umgehen und zu provozieren. Auch diese Demonstration sollte nach Redaktionsschluss stattfinden.
Thematisch überraschte der Aufmarsch der Rechtsextremen nicht: Wie angekündigt bestimmten die Themen Migration und Flüchtlingspolitik den Marsch. Das passt zu dem aktuellen Kurs der Rechten. Im Kontext der rassistischen Mobilisierungen nach Chemnitz und Köthen fiel auch immer wieder »Wir für Deutschland« auf. Die Gruppierung übertrug ihre Teilnahme an den Aufmärschen live ins Internet. Dort wurde auch für die Teilnahme an dem selbst ernannten »Tag der Nation« geworben.
Linke Gruppen wollten die Rechten blockieren. Ob dies gelang, stand bis Redaktionsschluss nicht fest.
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