Ausverkauf wie in San Francisco

Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg debattiert über Bebauungsplan Ostkreuz

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich bin kein Freund von Herrn Padovicz«, sagt Innensenator Andreas Geisel (SPD). Eine Handvoll Anwohner*innen stehen um den Senator herum. Sie diskutieren angeregt mit ihm über den Bebauungsplan Ostkreuz. Der Immobilienbesitzer Gijora Padovicz ist eines der Unternehmen, die auf dem Gelände künftig hochpreisige Wohnungen bauen wollen. Padovicz ist kein Unbekannter. Nicht nur in Friedrichshain-Kreuzberg, wo sein Unternehmensgeflecht zahlreiche Immobilien besitzt, gilt er als skrupelloser Investor, der mit brachialen Methoden unliebsame Mieter*innen vor die Tür setzt.

Am Donnerstag wird in der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg der Bebauungsplan erneut diskutiert. Damit wäre dann bald der Weg frei für rund 500 neue Wohnungen, ein neues Hotel und eine Filiale der Großaquarienkette »Coral World« eines milliardenschweren Investors. »Wohnungen, die wir dringend brauchen«, bekräftigt der Senator. »Aber wer braucht denn so ein Aquarium«, fragt eine aufgebrachte Anwohnerin und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Die Anwohner*innen werfen Geisel vor, die Stadt zu verkaufen. Eine junge Frau erzählt von ihren Erfahrungen in der US-amerikanischen Metropole San Francisco. Das einstige Paradies für Künstler*innen und Freigeister zählt heute zu den teuerste Städten weltweit. »Berlin entwickelt sich in eine negative Richtung«, sagt sie und verweist auf andere europäische Metropolen, wie London oder Paris.

Tatsächlich ist der B-Plan nur ein Angebotsbebauungsplan, der festlegt, wo auf dem Areal gebaut werden darf. Weil aber die Grundstücksverkäufe an Inverstor*innen bereits feststünden, entscheide die BVV nicht über den eigentlichen Bebauungsplan, sondern über konkrete Projekte, die nicht für die Bedürfnisse der Bevölkerung stünden, wie das Beispiel des Aquariums zeigt, kritisiert Florian Hackenberger, Sprecher der Gegner*innen des B-Plans. Er organisiert zudem die Großdemonstration, die zeitgleich zur Abstimmung in der BVV am Donnerstag stattfindet. Statt noch mehr Beton und Tourist*innen in die Rummelsburger Bucht zu holen, fordert Hackenberger mehr Stadtnatur, Schul- und Kitaplätze sowie kulturelle und soziale Einrichtungen.

Unterstützung erfahren die Aktivist*innen derweil von den Lichtenberger Grünen. »Wir freuen uns über das zivilgesellschaftliche Engagement und teilen viele der vorgetragenen Kritikpunkte der Demonstrant*innen«, schreibt der Bezirksverordnete Robert Pohle in einer Pressemitteilung. Zudem zweifle man an der Sinnhaftigkeit und dem Nutzen des Baus eines Aquariums und Hotels, heißt es weiter. »Das Aquarium ist nicht nur aus tierschutzpolitischer Sicht fragwürdig. Es fehlt auch an einem tragfähigen Verkehrskonzept für die prognostizierten 500 000 Besucher*innen pro Jahr«, sagt Daniela Ehlers, die für Bündnis 90/Die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg sitzt.

Eines der indirekt von der Verdrängung durch den Bebauungsplan betroffenen Projekte wäre das ehemalige Jugendfreizeitschiff »Freibeuter«, auf dem derzeit mehrere Kollektive aktiv sind, und das seit mehr als 26 Jahren in der Rummelsburger Bucht vor Anker liegt (»nd« berichtete). In ursprünglichen Planungen noch mit einbezogen, wurde die »Freibeuter« zuletzt aus dem Bebauungsplan herausgestrichen und gilt nun als »Störobjekt«, wie der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), dieser Zeitung mitteilte. Am Mittwoch Morgen traf Schmidt sich daher mit den derzeitigen Mieter*innen, um die Lage zu sondieren. In einer Mitteilung erklärten diese nun, mehr Zeit vom Baustadtrat erbeten zu haben, um einen Plan zur Erhaltung des Kulturstandortes erarbeiten zu können.

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