Denunziation gegen vermeintlich linke Lehrer

Am 22. Oktober will die Berliner AfD ihr Beschwerdeportal gegen Lehrer starten

  • Lesedauer: 3 Min.

Am kommenden Montag ist Stichtag: Dann will die Berliner AfD-Fraktion ihre neue Meldeplattform im Internet starten. Auf dem Portal sollen Schüler und Eltern politische Äußerungen von Lehrern melden können.

»Mit dem Portal wollen wir in erster Linie auf die Diskriminierung der AfD aufmerksam machen«, sagt Thorsten Elsholtz, Pressesprecher der Berliner AfD-Fraktion, dem »nd«. Vorbild für das Vorhaben sei die »Aktion Neutrale Schule« der Hamburger AfD-Fraktion. Auf der Website können dort Nutzer seit September der AfD melden, wenn Lehrkräfte oder Schulpersonal ihrer Meinung nach gegen das staatliche Neutralitätsgebot verstoßen. Die Meldungen sind dort auch anonym möglich.

Das Neutralitätsgebot

Das Neutralitätsgebot leitet sich aus dem für Lehrer geltenden sogenannten Beutelsbacher Konsens ab. Dieser regelt seit 1976 die Grundsätze für die politische Bildung im Schulunterricht.

Demnach ist es nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der »Gewinnung eines selbstständigen Urteils« zu hindern.

Das Neutralitätsgebot darf jedoch nicht mit Wertneutralität verwechselt werden. Schule hat den klaren Auftrag, Schülerinnen und Schülern die freiheitlichen und demokratischen Grund- und Menschenrechte zu vermitteln und fußt mit ihrem gesetzlichen Bildungsauftrag auf den Werten des Grundgesetzes. Ein Lehrer kann also sehr wohl im Unterricht seine eigene Position äußern, zum Beispiel wenn er eine Position der AfD ablehnt. Das ist keine Verletzung des Neutralitätsgebots, solange diese Sichtweise nicht absolut gesetzt wird und die Schüler dadurch indoktriniert werden. jlo

»Unsere Meldeplattform soll dazu beitragen, das Neutralitätsgebot an den Schulen durchzusetzen«, sagt Elsholtz. In letzter Zeit hätten sich bei seiner Partei vermehrt besorgte Eltern gemeldet, die von Fällen berichteten, in denen die AfD im Unterricht in Misskredit gebracht wurde. Aus Sorge vor Nachteilen für ihre Kinder hätten die Eltern aber nicht das Gespräch mit den entsprechenden Lehrern gesucht. »In solchen Fällen wollen wir die Eltern unterstützen und vorzugsweise nach Lösungswegen innerhalb der Schule suchen«, so Elsholtz. Es gehe nicht darum, einzelne Lehrer oder Schulen an den Pranger zu stellen. »Persönliche Daten und Einzelfälle werden nicht veröffentlicht.« Verstöße gegen den Datenschutz werde es nicht geben.

Zwar hat der Landesverband Baden-Württemberg sein schulisches Beschwerdeportal nach massivem Widerstand gestoppt, doch halten die AfD-Fraktionen in Bayern, Bremen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt ihren Plänen fest. In Brandenburg, wo eine Plattform bald online gehen soll, will Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) eine mögliche Zweckentfremdung von an die AfD-Fraktion überwiesenen Mitteln prüfen lassen.

Die Lehrergewerkschaft GEW blickt mit großer Sorge auf den Start der Meldeplattform in der Hauptstadt. »Wir weisen den Versuch der AfD, auf diesem Weg eine neue Unkultur der Denunziation in den Schulen zu etablieren, entschieden zurück«, sagt die Berliner GEW-Chefin Doreen Siebernik, Mit der Plattform wolle die AfD kritische Lehrkräfte verunsichern. Zudem verfolge die Partei mit der Aktion eigene politische Ziele, die dem Grundgesetz und den allgemeinen Menschenrechten widersprechen würden. »Neutralität in der Schule bedeutet nicht, demokratiefeindliche Positionen zuzulassen«, sagt Siebernik. Mit Informationsblättern zum Neutralitätsgebot und zum Bildungsauftrag an Schulen wolle die Gewerkschaft die Lehrer dazu ermutigen, für demokratische Werte einzustehen.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) findet, das AfD-Portal stehe »dem Schulfrieden entgegen«. Denn für den Fall, dass Eltern ein Problem mit einem Lehrer sehen würden, gebe es bereits »ausreichend Beschwerdeinstanzen in der Berliner Schule«.

Maja Lasić, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeornetenhaus, nennt das Vorhaben der AfD eine »Denunziationsplattform«. »Ich habe stark den Eindruck«, so Lasić, »dass es der AfD wieder einmal darum geht, sich als Opfer zu stilisieren.« Gemeinsam mit der Senatsbildungsverwaltung werde sie sich dafür einsetzen, das Schulpersonal vor rufschädigenden Attacken zu schützen.

Auch die Zivilgesellschaft mobilisiert Unterstützung für die Lehrer. Auf der Website Change.org wurde unter dem Motto »Mein Lehrer fetzt« eine Petition an die Kultusministerkonferenz initiiert. Wer dort unterschreibt, zeigt sich bundesweit mit Lehrkräften solidarisch und sagt: »Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem Menschen durch Mitmenschen bespitzelt und denunziert werden«. Das Bundesbildungsministerium solle rechtliche Schritte gegen die AfD-Aktion prüfen. Mehr als 8000 Menschen haben schon unterschrieben.

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