Mit Traktoren und Trillerpfeifen

Bunter Anti-Atom-Zug rollt durch das südöstliche Niedersachsen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Mehrere Trecker haben gelbe Fässer mit schwarzem Radioaktivitätszeichen geladen, von anderen wehen Fahnen mit der Anti-Atom-Sonne. Autofahrer hupen, Radlerinnen klingeln, in manchen Fenstern stehen Leute und winken. Mehr als 40 Landwirte rollen mit ihren Traktoren im Konvoi mit, an die 300 Demonstranten sind mit dem Rad gekommen. Am Sitz des Bundesamtes für Strahlenschutz in Salzgitter ist der Treck am Morgen gestartet. In Vechelde, etwa auf der Hälfte der Strecke, stoßen noch einmal rund 70 Radfahrer dazu, die in Braunschweig losgefahren sind. Die Demonstration endet am Nachmittag in Peine, wo die neue Bundesgesellschaft für Endlagerung residiert.

Bei der Zwischenkundgebung in Vechelde steht Wolfgang Räschke hinter zwei verbeulten Tonnen und spricht in ein Mikrofon. »Wir reden bei Schacht Konrad nicht von irgendwelchem Krankenhausmüll«, sagt er. »Hier geht es um die Interessen der Atomindustrie, die ihren Müll irgendwo unterbringen will.« Räschke ist 1. Bevollmächtigter der IG Metall in der Region, und viele der Menschen, die sich an diesem Tag gelbe Warnwesten übergezogen haben, sind Beschäftigte bei Volkswagen oder einem anderen Metallbetrieb.

Dass sich Gewerkschafter klar gegen eine Atomanlage positionieren, ist keineswegs selbstverständlich. Oft stehen Gewerkschaften und Umweltschützer sich unversöhnlich gegenüber, demonstrieren die einen für und die anderen gegen die Atomenergie. Zuletzt forderten RWE-Beschäftigte und Gewerkschaftsleute in Nordrhein-Westfalen die Rodung des Hambacher Forstes.

In der Industrieregion Salzgitter aber halten viele Metaller eine Inbetriebnahme von Schacht Konrad für unverantwortlich. Es habe nie eine vergleichende Standortwahl gegeben, erklärt Räschke. Der neueste Stand von Wissenschaft und Technik werde nicht eingehalten.

»Konrad muss aufgegeben werden, weil es ein altes Bergwerk ist, das den Anforderungen an ein Atommüllendlager niemals gerecht werden kann«, sagt auch Ludwig Wasmus von der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad, dem atomkraftkritischen Dachverband in der Region. Es sei »absurd und gefährlich, dass an einem falschen und offensichtlich nicht umsetzbaren Projekt festgehalten wird, nur weil es dafür eine Genehmigung gibt«. Konrad soll bis zu 303.000 Kubikmeter Atommüll aufnehmen. Längst zeichnet sich ab, dass viel zu klein geplant wurde: Für die radioaktiven Rückstände aus der Urananreicherung und den aus der Asse zu bergenden Müll gibt es im Schacht keinen Platz.

Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg vergleicht bei der Abschlusskundgebung Schacht Konrad mit Gorleben. Beide Projekte der 1970er Jahre seien mit denselben Fehlern behaftet: »Kein vergleichendes Verfahren, keine Alternativen, Durchsetzung Top-down, im Zweifel mit Polizeigewalt.« Statt Schacht Konrad aufzugeben und mit den heutigen Maßstäben von Wissenschaft, Technik und Forschung die Atommüllproblematik insgesamt neu anzugehen, klammere sich die Politik an den einmal festgelegten Standort und mache einfach weiter: »Das kann nur schief gehen, weil in diesem Fall ein altes ausgedientes und totes Erzbergwerk 40 Jahre nach der Schließung reanimiert werden soll.«

An die langfristigen gesellschaftlichen Auswirkungen erinnert Uli Löhr vom Niedersächsischen Landvolk: »Demnächst müssen acht Milliarden Menschen auf dem Erdball ernährt werden«, unterstreicht er. »Deswegen können wir es uns nicht leisten, in der Kornkammer Mitteleuropas die Erzeugung von Lebensmitteln durch ein Endlager zu gefährden, das genehmigt wurde, als der Commodore 64 eine technische Revolution darstellte.«

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