Eine Schonfrist bekomme ich nicht

Brandenburgs Sozialministerin Susanna Karawanskij über ihren politischen Schnellstart

Tut man Ihnen unrecht, wenn man sagt, dass Sie von Brandenburg bisher nur die Bahnstrecke zwischen Leipzig und Berlin kennen?

Es wäre unrecht von mir, zu behaupten, dass ich Brandenburg in allen Ecken kenne. Aber in den vergangenen Wochen hatte ich Gelegenheit, das Bundesland intensiver kennenzulernen. Mein Bundestagswahlkreis in Nordsachsen grenzte übrigens an Brandenburg - und dort im ostelbischen Bereich leben ja Brandenburger, die sich als Sachsen fühlen. Insofern ist mir das Land nicht fremd.

Zur Person

Susanna Karawanskij (LINKE) ist seit dem 19. September 2018 brandenburgische Gesundheits- und Sozialministerin. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete, Jahrgang 1980, wuchs in Leipzig auf und wohnt auch heute noch dort.

Mit der Kultur- und Politikwissenschaftlerin, die verheiratet ist und eine Tochter hat, sprach nd-Redakteur Andreas Fritsche darüber, um welche Themen sie sich bis zur Landtagswahl am 1. September 2019 kümmern wird.

Was gefällt Ihnen am Land Brandenburg besser als an Ihrer Heimat Sachsen?

Darauf möchte ich jetzt noch nicht antworten. Dafür hatte ich noch zu wenig Zeit.

Vielleicht, dass in Brandenburg die LINKE mitregiert?

Das ist eine gute Antwortmöglichkeit. Aber mir gefällt an Brandenburg auf jeden Fall das Zusammenspiel mit Berlin. Das ist eine interessante Besonderheit.

Zur Landtagswahl am 1. September 2019 wollen Sie nicht antreten. Aber wären Sie bereit, auch nach der Wahl Sozialministerin zu sein?

Das hängt von verschiedenen Faktoren ab, nicht zuletzt vom Wahlergebnis. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, brandenburgische Sozialministerin zu bleiben. Es ist zwar eine anstrengende Arbeit, aber es macht mir auch sehr großen Spaß.

Haben Sie nach Ihrem Amtsantritt die üblichen 100 Tage Schonfrist erhalten?

Es war mir vorher klar, dass ich die nicht bekommen würde, allein schon deswegen, weil es nur noch elf Monate bis zur Landtagswahl sind. Bereits vier Stunden nach meiner Ernennung habe ich im Landtag zum Lunapharm-Skandal geredet und bei der Parlamentssitzung am folgenden Tag noch einmal. Da ging es sofort zur Sache. Darum habe ich dort dann auch gesagt, nach meiner Rechnung hätte ich eigentlich noch 99 Tage Schonfrist.

Die Lunapharm GmbH soll in Griechenland gestohlene und möglicherweise unwirksame Krebsmedikamente an deutsche Apotheken geliefert haben. Das Landesgesundheitsamt soll nach Hinweisen auf die kriminellen Machenschaften erst nicht angemessen reagiert haben. Wie läuft die Aufklärung weiter, nachdem eine unabhängige Expertenkommission ihren Untersuchungsbericht abgegeben hat?

Die Kommission hat uns eine Reihe von Empfehlungen gegeben, die wir umsetzen sollen und wollen. Die Aufarbeitung im Landesgesundheitsamt findet statt. Wir haben eine Steuerungsgruppe gebildet, die meinem Staatssekretär Andreas Büttner unterstellt ist. Wir schauen auch auf unsere Prozessabläufe, auf die Kommunikation zwischen Gesundheitsamt und Ministerium.

Befinden sich schlimmstenfalls noch unwirksame Präparate im Umlauf?

Alle zurückgestellten Medikamentenproben, deren Laboruntersuchung veranlasst wurde, waren in Ordnung. Eine Restunsicherheit bleibt leider dennoch. Ich vermute, dass Lunapharm kein Einzelfall ist. Dies greift über Brandenburg weit hinaus. Da brauchen wir schwere Geschütze. Das übersteigt unsere Einflussmöglichkeiten. Deshalb müssen wir zur Medikamenten- und Patientensicherheit besser mit der Bundesebene zusammenarbeiten, wahrscheinlich sogar mit der europäischen Ebene.

In der Gesundheits- und auch in der Sozialpolitik werden die wichtigen Entscheidungen vom Bund getroffen. Fühlen Sie sich da nicht ein wenig machtlos?

Da könnte man immer Pingpong spielen, wer wofür verantwortlich ist. Selbstverständlich erfolgen die wegweisenden Weichenstellungen in der Gesundheits- und Sozialpolitik auf Bundesebene. Trotzdem bin ich jetzt als Landesministerin in der unglaublich privilegierten Position, im Bundesrat auf Veränderungen drängen zu können. Schauen Sie, ich kann nicht die Rentengesetzgebung ändern, aber ich kann durchaus etwas gegen Kinderarmut tun, auch wenn ich die Grundsicherung für Kinder nicht erhöhen kann. Ich bin froh, dass sich das Thema Kinderarmut im Landeshaushalt 2019/2020 in verschiedenen Projekten niederschlägt. Ich erwarte natürlich vom Bund, dass er viel mehr gegen die Armut unternimmt. Insbesondere müsste sich die Bundes-SPD nicht nur dazu bekennen, sondern endlich in der Bundesregierung dafür aktiv werden. Aber ich kann und will auch etwas tun.

Was sind in Ihrem Ressort die Aufgaben, die Sie bis zur Landtagswahl 2019 noch erledigen wollen?

Der Fahrplan der rot-roten Koalition ist bekannt. Es ist im Koalitionsvertrag von 2014 festgehalten, was zu erledigen ist. Ich habe jedoch den Anspruch, innerhalb des kommenden Jahres noch mindestens ein, zwei Akzente zu setzen - bei Themen wie Kinderarmut, Hebammenversorgung, Pflege oder häusliche Gewalt. Mein großes Thema ist Gerechtigkeit. Es klingt pathetisch, aber wir müssen mit unserem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie stets die existenziellen Bedürfnisse der Menschen im Blick haben. Bei unseren Gesetzentwürfen, aber auch und vor allem in der täglichen Arbeit im Ministerium und vor Ort. Nehmen wir den Lunapharm-Skandal: Wir müssen mit den verunsicherten Patienten sprechen, ihnen helfen, sie beschützen. Einige Patientenvertreter und Selbsthilfegruppen haben unser Gesprächsangebot angenommen. Darüber bin ich sehr froh.

In Brandenburg ist die 2001 verstorbene Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) - genannt Mutter Courage des Ostens - ein Mythos. Fühlen Sie sich dem Andenken Hildebrandts verpflichtet?

Ich gehe mit neuem Schwung an die für mich neue Aufgabe, aber natürlich empfinde ich auch großen Respekt davor. Ich weiß selbstverständlich, wer Regine Hildebrandt war, und ich weiß auch, wie tief verbunden sich viele, die länger im Sozialministerium arbeiten, noch immer mit Regine Hildebrandt fühlen und wie wichtig der Brandenburger SPD die Erinnerung an diese Frau ist. Ich spüre den Geist, sehe im Ressort aber auch noch andere Linien. Beispielsweise hat Anita Tack als Gesundheitsministerin von der Linkspartei in den Jahren 2009 bis 2014 auch ihre Spuren hinterlassen. Ich habe weniger Zeit als diese Vorbilder, aber ich bin wild entschlossen, meinen Beitrag zu leisten.

Im Zuge des Lunapharm-Skandals kam die Frage auf, wie es sein konnte, dass Ihre Vorgängerin Diana Golze als Ministerin nicht rechtzeitig vom Verdacht gegen die Pharmafirma in Kenntnis gesetzt wurde. Wie kommen Sie mit Ihren Untergebenen zurecht?

Es ging ja alles sehr schnell, gewissermaßen im Schweinsgalopp. Ich treffe auf große Offenheit, spüre Erleichterung, dass es nach sehr bewegten Wochen und Monaten nun wieder in geordneteren Bahnen läuft. Aber spurlos ist die Aufregung des Lunapharm-Skandals nicht an den Mitarbeitenden vorbeigegangen, auch wenn die meisten von ihnen mit dieser Sache überhaupt nichts zu tun hatten. Die Debatte um gestohlene, möglicherweise unwirksame Medikamente, um Verantwortung und die Forderung nach Konsequenzen drängte alles andere, was das Ministerium leistet, in den Schatten. Ich versuche, Brücken zu bauen und Brücken zu erhalten. Brücken abzureißen ist generell nicht mein Stil.

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