Reichelts Kartoffelbrei

Warum Julian Reichelts Gerede von einem Rassismus gegen weiße Deutsche unsinnig ist

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist selten, dass der Anwärter auf einen Negativpreis persönlich auf einer Verleihung erscheint. Insofern war es bemerkenswert, dass sich »Bild«-Chef Julian Reichelt vergangenes Wochenende in Berlin blicken ließ, seine »Goldene Kartoffel« aber letztlich doch nicht annahm. Sein Auftritt diente eher der Beweisführung, zu zeigen, warum er überzeugt ist, den »Medienpreis für besonders einseitige oder missratene, kurz: für unterirdische Berichterstattung über Aspekte unserer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft« (Jury-Begründung) nicht verdient zu haben. Wohl deshalb hatte Reichelt den »Bild«-Nachrichtenredakteur Mohammad Rabie mitgebracht. Mutmaßliche Logik: Wer einen 2015 aus Syrien geflüchteten Journalisten beschäftigt, könne schließlich keine rassistische Berichterstattung betreiben.

Rassismus warf er dann aber in seiner Rede den Preisstiftern vom Verein Neue deutsche Medienmacher vor: Immerhin gelte der Begriff »Kartoffel« an »Brennpunktschulen, wo die Integration keine Erfolgsgeschichte ist« als eine »Beschimpfung, die sich auf Rasse und Herkunft« beziehe.

Julian Reichelt, ein Opfer von Rassismus gegen Weiße? »Männer und Weiße können ungefähr alles auf der Welt haben, aber Diskriminierung können sie nicht haben. Es gibt keinen Rassismus gegen Weiße und keinen Sexismus gegen Männer. Das heißt nicht, dass es sie prinzipiell nicht geben kann. Es kann sie nur in dieser Welt nicht geben«, kontert die Kolumnistin Margarete Stokowski auf spiegel.de.

Reichelts Empörung erinnert die Autorin an jene Männer, die sich Sexismus ausgesetzt sehen. »Frauenquote, Frauenbeauftragte, Frauenparkplätze: Alles davon wird regelmäßig als Sexismus gegen Männer ausgelegt.« Verstehe man aber Diskriminierung als einen Mechanismus, »der unterdrückte Gruppen oder Minderheiten von gesellschaftlicher Teilhabe und Gleichberechtigung fernhält, dann ist das eine Erfahrung, die Weiße und Männer als solche in dieser Welt nicht machen können.«

Ähnlich sieht dies die Journalistin Sibel Schick auf taz.de. Reichelt vergesse, »dass Rassismus eine strukturelle Diskriminierung ist, die von gesellschaftlichen Institutionen, Gesetzen und Normen ausgeht. Menschen, die der Mehrheitsgesellschaft angehören, können im Gegensatz zu Minderheiten nicht strukturell benachteiligt werden.« Dass Reichelt einen geflüchteten Journalisten fördert, sei »zweifellos eine gute Sache«, so Schick. Das schließe »aber eine unsaubere Berichterstattung über Migration, Integration und Asyl genausowenig aus, wie eine Mutter zu haben Frauenfeindlichkeit ausschließt.«

Samira El Quassil schreibt auf uebermedien.de, dass sie »sehr lachen« musste, als sie Reichelts Begründung hörte, warum er die »Goldene Kartoffel« ablehne. »Dass der Chefredakteur einer Zeitung, die Begriffe wie ›Döner-Morde‹ und ›Pleite-Griechen‹ erfand oder populär machte, sich durch ein unterirdisches Nachtschattengewächs in seinem Deutschsein herabgewürdigt und diskriminiert fühlt, war unerwartet.«

Reichelt hatte übrigens einen Alternativvorschlag: Er hätten den Preis nach Radieschen benannt. Die seien auch unterirdisch.

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