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Und kein Ende ...

Ernst Reuß berichtet über Mord und Totschlag in Berlin

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Mord und immer wieder Mord. Die Republik wird überschwemmt mit Blut und Ballermännern und manchmal auch -frauen. Kein leichenfreies, noch so raffiniertes Verbrechen schafft es auf die Flachbildscheibe. Unter einem Mord geht nichts. Und es nimmt einfach kein Ende. So artet das alltägliche mediale Blutbad in der Regel in gähnender Langeweile aus.

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Ernst Reuß: Mord und Totschlag in Berlin. Neue spektakuläre Kriminalfälle.
Verlag für Berlin-Brandenburg, 248 S., geb., 18 €.

Anders die authentischen Fälle, bei denen Menschen gewaltsam zu Tode gebracht werden. Mord und Totschlag gab es immer und wird es wohl immer geben. Es lässt einem das Blut in den Adern erstarren, wenn ganz »normale« Mitmenschen von nebenan ein Verbrechen begehen, das sich kein Krimischreiber ausdenken kann. Dieser Bluttaten hat sich Ernst Reuß angenommen und 14 spektakuläre Tötungsdelikte in Berlin der letzten anderthalb Jahrzehnte zusammengetragen. Die dumpfen Raser vom Ku'damm sind dabei, die alles über den Haufen fahren, was auf ihrer Rennstrecke liegt. Die Schläger vom Alex, die ihr am Boden liegendes Opfer mit Tritten malträtieren oder die beiden jungen Männer, die die schwangere Freundin des einen in einen Wald locken und sie dort bestialisch verbrennen. Verbrechen, die Familien auf immer zerstören und Betroffene niemals vergessen. Irgendetwas ist bei den meisten Tätern schief gelaufen, wann, das lässt sich nur schwer sagen. Wie ein Vulkan schlummert es im Stillen, um dann unberechenbar auszubrechen. Mit schwerer Kindheit, prügelnden, saufenden Eltern lassen sich die Ursachen dramatischer Fehlentwicklungen nicht erklären. Viele erleben ähnlich dramatische Schicksale, finden aber dann doch zu einem Leben, das die Würde und Unantastbarkeit des anderen respektiert.

Reuß beschreibt die Taten, das Verhalten der Täter vor Gericht und er hält gleichzeitig die notwendige Distanz zum Geschehen. Er widmet sich den verschiedenen Spielarten von Mord und Totschlag. Denn Mord ist nicht gleich Mord. Mord setzt Absicht, niedere Beweggründe oder Habgier voraus und wird mit der Höchststrafe nach deutschem Recht bestraft: lebenslänglich. Was nicht lebenslänglich heißt, sondern eine zeitlich begrenzte lange Gefängnisstrafe. Denn jeder Täter soll irgendwann einmal die Chance haben, wieder zu einem Mitglied der Gesellschaft zu werden. Der Autor wird nicht Ankläger oder Richter, er bleibt der respektvolle Beobachter. Die Täter haben vor Gericht das Recht zu schweigen, so sagt es die Gesetzlichkeit. Somit gehen viele Prozesse zu Ende, ohne dass die Verbrecher im Gerichtssaal ein Wort gesagt haben. Damit bleiben sehr oft die Fragen nach den Motiven und Triebkräften offen. Der Autor bleibt nicht stehen, wenn ein Urteil im Namen des Volkes gefallen ist. Er sucht dort, wo es möglich war, nach Fakten, was aus den Verurteilten geworden ist.

Um Täter und Opfer einheitlich wiederzugeben, hat der Autor, wie in Gerichtsberichten üblich, auf die Nennung des Nachnamens verzichtet. Vorname und der erste Buchstabe des Nachnamen. Der Schutz der Persönlichkeit steht über dem Interesse der Öffentlichkeit auf Information. In einem Fall wäre es sicher richtiger gewesen, den vollen Namen des Opfers zu nennen. Den von Hatun Sürücü. Die junge Frau wurde 2005 kaltblütig von ihrem jüngsten Bruder auf offener Straße hingerichtet. In wieweit die zwei anderen mitangeklagten Brüder an dem Mord beteilig waren, konnte im Gerichtssaal nicht bewiesen werden. Doch der Name Sürücü war damals in aller Munde - als Symbol einer integrierten Berlinerin, die sich von überlebten Traditionen ihrer Familie löste. Man sollte ihr diese Ehrbezeugung nicht durch Anonymität nehmen.

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