Lametta im Fenster und Hass im Netz

Rechtsradikale bedrohen das »Zentrum für politische Schönheit« für ihre viel diskutierte Kunstaktion in Chemnitz

  • Henrik Merker, Chemnitz
  • Lesedauer: 3 Min.

Um neun Uhr eröffnete am Montag in Chemnitz ein Büro des Kunstprojektes »Soko Chemnitz«, Fahndungsbilder vermeintlicher Teilnehmer der gewalttätigen Aufmärsche vom August dieses Jahres hingen an den metergroßen Glasscheiben. Die Tinte hatte kaum Zeit zu trocknen, da standen schon die ersten Rechten vor der Tür, schickten Bilder ins Netz und gossen Gewaltaufrufe hinterher. »Pro Chemnitz« startete augenblicklich einen Spendenaufruf: geoutete Rechtsextreme sollen sich bei ihnen für juristische Unterstützung melden. Die sächsische Polizei reagierte beinahe genau so schnell, ließ die Türen aufbrechen und entfernte die Plakate. Online verbreitete deren Social-Media-Team, man habe aus Gefahrenabwehr handeln müssen. Es stand die Befürchtung im Raum, Rechte würden sonst selber den Laden zerstören – online kursierten entsprechende Aufrufe.

Unterstützer der Künstlergruppe »Zentrum für politische Schönheit« (ZPS) hatten das vormalige Süßwarengeschäft in der Chemnitzer Innenstadt mit gebrauchten Möbeln eingerichtet und einen alten Computer reingestellt. Wer genau hinsieht, kann erkennen, dass nicht mal ein Stromkabel zur Steckdose führt – nur der Monitor ist alibimäßig angeschlossen. Auf einem Couchtisch liegt die »Sport Bild« – eine Anspielung auf den »Bild«-Pranger während des G20-Gipfels vergangenes Jahr in Hamburg? Beobachter sehen die Pranger-Website auch als Referenz auf ein AfD-Portal, bei dem kritische Lehrer gemeldet werden sollen.

Ein chinesischer Gong, man kann ihn als Sinnbild von Unmittelbarkeit und Lautstärke der effizient organisierten ZPS-Aktionen nehmen, steht im Schaufenster. Um alles noch mehr zu überspitzen, sind Heizung, Büropflanzen und Schreibtischlampe mit dem weihnachtlichen Symbol des Ostens dekoriert – goldenes Lametta, glatt gebügelt. Alles an dem Laden kann zutiefst ironisch aufgefasst werden, und so verhält es sich wohl auch mit der gesamten Aktion.

Vor einiger Zeit hatten die Aktionskünstler vom »Zentrum für politische Schönheit« ein Holocaust-Denkmal vor dem Haus des AfD-Politikers Björn Höcke aufgebaut und ihn nach eigener Auskunft monatelang überwacht. Hinterher kam raus: das Denkmal war aus Sperrholz, die Überwachung hat es nie gegeben. Den Bezug zur Höcke-Aktion stellt das ZPS bei seiner »Soko Chemnitz« selbst her. Höckes Konterfei ziert die Steckbriefe jeder noch nicht identifizierten Person, die auf der Website auftauchen.

Und wie bei vergangenen Kunstaktionen kennt die Empörung am rechten Rand auch diesmal keine Grenze. Manche wähnen sich gar als Gejagte: Sie würden schlimmer verfolgt als Juden unter den Nazis, schreiben sie auf ihren Social-Media-Seiten. Die Künstler um Philipp Ruch seien schlimmer als Hitler und Stalin zusammen, meinen einige. Neben den Shoah-Relativierern tummeln sich einige Gewaltaffine, die noch am Tag der Büroeröffnung dessen Zerstörung mit Steinen, Feuer oder Farbbomben forderten. Die Aufrufe waren dann auch Teil der Begründung, warum die Polizei den Laden um seine Plakate brachte. Gegen die Polizeiaktion werde juristisch vorgegangen, sagt eine ZPS-Künstlerin auf »nd«-Nachfrage.

Wegen der erwarteteten Gewalt aus rechtsextremen Kreisen hatte vom ZPS selbst noch niemand einen Fuß in das Büro gesetzt. Die Aktivisten beobachten aus der Ferne, wie ihre Provokation Früchte trägt und drehen die Eskalation weiter. Die Inszenierung ist noch nicht an ihrem Ende angelangt.

»Widerstand ist eine Kunst, die weh tun, reizen und verstören muss«, schreiben die Künstler auf ihrer Website. Dabei ist das »Zentrum für politische Schönheit« kompromiss- und rücksichtslos, selbst linken Gruppen tut die Chemnitzer Aktion weh. Doch auch Christoph Schlingensief, an dessen Aktionskunst sich das ZPS anlehnt, hat solche Rücksicht nie gekannt.

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