Der Körper ist ein Schlachtfeld

»Crash«: Die erste Einzelausstellung der südkoreanischen Künstlerin Lee Bul in Deutschland

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein erster Eindruck verdichtet sich zu ganz viel Glitzer, Glas, Perlen, Samt, amorphen Körpern und kristallinen Architekturen. Überall wurden Spiegel benutzt, als unsicherer Boden oder an der Wand. Sowohl dem Material selbst als auch den Formungen haftet Mythisches an, als seien Angstträume, Lebensentwürfe, Widerständigkeit und diverse Erzählungen in Absurditäten konserviert. Alles scheint codiert und wartend auf Entschlüsselung. Gelegentlich gibt es ein Textfragment, ein Zitat oder einen vagen Hinweis. Ein silberner Zeppelin schwebt durch das Obergeschoss des Martin-Gropius-Baus in Berlin, als gehe es eher um einen Werbegag als um eine technische Vision von gestern und das Träumen der Menschen von der Zukunft. Das Werk »Willing To Be Vulnerable - Metalized Balloon« von der südkoreanischen Künstlerin Lee Bul ist aber beides: Visionen wandeln sich mitunter ins Banale. Trotzdem schwebt immer eine Geschichte mit, vor allem eine ambivalente oder tragische. Die Hindenburg-Zigarre, die 1937 mit über achtzig Passagieren an Bord in Brand geriet und abstürzte, war zuvor schon ein dadahaftes Objekt etlicher Bildfindungen.

Das Arrangement der Kunstwerke mutet an wie eine Out-of-Space-Inszenierung, die über die gesamte erste Etage des Martin-Gropius-Baus mit seiner ins Klassische geformten europäischen Architektursprache ausgebreitet wurde. »Ich schaue mir immer erst die Räume an, in die ich meine Ausstellungen hineinkomponiere. Das habe ich auch hier getan und als Erstes sind mir die großen Fenster aufgefallen«, sagt Lee Bul mit einer leisen Stimme und in ihrer Sprache, die einer Übersetzung bedarf. Sie wurde 1964 in einer Provinz im Osten von Südkorea geboren, mitten hinein in die Zeit des Kalten Krieges und eines willkürlich und durch US-amerikanische Intervention geteilten Landes samt Militärdiktatur.

Nicht schlechthin die Fenster hatten sie im Gropius-Bau interessiert, sondern die Raumöffnung an dieser Stelle, Richtung Osten, wo einst die Berliner Mauer stand und der Blick zugleich über die »Topographie des Terrors« wandern kann und sich der Sinn für Geschichte schärft. »Crash« heißt die chronologische und in Themenblöcken arrangierte Werkschau. Die Ausstellung wurde von der neuen Direktorin des Gropius-Baus Stephanie Rosenthal in einer Zusammenarbeit mit der Londoner Hayward Gallery kuratiert. Lee Bul studierte bis 1987 Bildhauerei und Theater an der Hongik-Universität in Seoul. Das allein erklärt, warum der Rückblick auf ihre 30-jährige Schaffenszeit immer wieder Körperdimensionen und Körperfragmente zeigt. Ihre provokanten Performances aus den Achtzigern werden in der Schau per Video dokumentiert. Sie macht ihren eigenen Körper zum Medium. Bei der dramatischen Performance »Abortion« (1989) häng sie fast zwei Stunden nackt und kopfüber und erzählt von den Qualen des Schwangerschaftsabbruchs. Abtreibung ist in Südkorea bis heute illegal. »Der Körper ist ein Schlachtfeld, auf dem politische und soziale Fragen aufeinanderprallen.« Das Zitat der Künstlerin steht an der Wand. »Mich interessiert, was an der Schnittstelle zwischen Kunst und Realität passiert.« In Erweiterung der Sechziger-Jahre-Happening-Praxis wurde der öffentliche Raum ihr Kommunikationsort.

Mit der Serie »Cyborgs« aus synthetischem Hightechmaterial erlangte Lee Bul 1998 internationale Aufmerksamkeit. Eine skurrile, kalte und unnahbare Welt wird mit den militanten Torsi, den »transhumanen Hybriden« also, vermittelt. Sexsymbolik, Computerspielästhetik und Kampfmaschinenanmutung verschmelzen zu surrealen hängenden Figurationen. Die klassische bildhauerische Positionierung des Körpers - stehend, liegend, sitzend - ist eben bei Lee Bul aufgehoben: Körper schweben frei im Raum, kleben auf formlosen Böden oder an der Wand. Auch die Besucher und Besucherinnen können ihre eigene Körperlichkeit einsetzen, und zwar beim Betreten der Spiegellabyrinthe, Höhlen oder einer Karaokebox, um sich für kurze Augenblicke Raumzuschreibungen bewusst zu machen.

Ab 2005 beschäftigt sich die Künstlerin ganz dezidiert mit utopischen Stadtlandschaften und setzt sich etwa mit Bruno Tauts gläsern-kristallinen Stadtutopien aus dem Jahr 1919 auseinander. Die Avantgardekonzepte des 20. Jahrhunderts kommentiert sie als Akzeptanz des Scheiterns: »Ich bin fasziniert von Misserfolgen, aber auch von Träumen, von denen die Träumer bereits wussten, dass sie niemals Wirklichkeit werden könnten.« Um das experimentelle Denken und gedankliche Vorwegnehmen geht es Lee Bul. Spielerisch kann das in der Kunst gemacht werden.

In der Ausstellung stehen räumlich getrennt und doch dialogisch nahe modellierte Bunker und Zukunftsstädte. »Heaven and Earth« (2007) - eine eingekachelte, mit schwarzer Tinte gefüllte Badewanne - soll den magischen Himmelssee am Vulkan Paektusan an der Grenze zwischen Nordkorea und China suggerieren, aber auch die Foltermethode, die 1987 nach der Studentenrevolte in Südkorea angewandt wurde. Es gibt zudem Arbeiten aus Silikon und handgefädelte Perlen, eine Referenz an die Lebenstätigkeit der Mutter der Künstlerin und vieler Frauen. Betrachter und Betrachterinnen können dem feinen Strich von Zeichnungen folgen oder an industriell gefertigten Oberflächen abgleiten.

»Lee Bul: Crash«, bis 13.1.2019, Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin.

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