Kanzlerin soll bei Kohleausstieg eingreifen

Umweltverbände stellen Ultimatum bei Kraftwerksabschaltungen in Nordrhein-Westfalen

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass es genauso mühsam sein würde, den Kohlekompromiss politisch durchzusetzen, wie ihn erst einmal zu finden, war zu erwarten. Drei Wochen nach seiner Verabschiedung steht der deutsche Kohleausstieg jedoch auf der Kippe. Noch stehen die Umweltverbände zum Kohlekompromiss, betonte der Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), Kai Niebert, am Montag in Berlin, auch wenn sie diesen für »unzureichend« halten und den Verbänden - wie hinzuzufügen ist - seitens der Klimaaktivisten von »Ende Gelände« oder »Fridays for Future« Kritik entgegenschlägt. Als Hauptmotiv für das Festhalten nannte Niebert den »steilen Einstieg in den Ausstieg«. Dieser stelle eine »Kehrtwende« in der deutschen Klimapolitik dar.

Geht es aber nach dem betroffenen Stromkonzern RWE und der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen soll der »steile« Einstieg nun in einen ziemlich flachen verwandelt werden. Im Bericht der Kohlekommission steht schwarz auf weiß, dass Kraftwerke mit einer Kapazität von 5000 Megawatt Braunkohlestrom bis Ende 2022 stillgelegt werden sollen. 2000 Megawatt davon steuern die für die Zeit von 2017 bis 2020 bereits vereinbarten Abschaltungen innerhalb der »Sicherheitsbereitschaft« bei. Die weiteren rund 3000 Megawatt sollen bis Ende 2022 von den beiden RWE-Kraftwerken Neurath und Niederaußem dazu kommen, konkret geht es um vier 300- und drei 600-Megawatt-Blöcke.

Im Moment wollen davon aber weder die Landesregierung Nordrhein-Westfalen noch RWE etwas wissen. Bei einer Anhörung im Landtag in Düsseldorf vergangene Woche war nur noch davon die Rede, 2400 Megawatt vom Netz zu nehmen.

Man erlebe, wie einzelne Unionsvertreter beginnen, den Kompromiss infrage zu stellen, »obwohl sie in der Kommission vertreten waren«, zeigte sich DNR-Chef Niebert enttäuscht. Er nannte zwar keine Namen, hat aber offensichtlich Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) im Blick.

Für ihre ursprüngliche Position, dass es auch im Osten von 2020 bis 2022 weitere Abschaltungen geben müsse, seien die Verbände »beschimpft« worden, erinnert sich Mitverhandler Martin Kaiser von Greenpeace. Also hätten die Verbände dann zugestanden, dass die für 3000 Megawatt nötigen Abschaltungen dann allein aus dem Westen kommen.

»Das ist das gemeinsame Verständnis in der Kohlekommission gewesen«, erklärte Kaiser. Dass die Landesregierung Nordrhein-Westfalens jetzt zurückrudere und nur das übernehme, was RWE mit der Stilllegung von 2400 Megawatt im Vorfeld der Kommission von selbst angeboten habe, könne einfach nicht sein. »Laschet darf nicht zum Rosinenpicker eines Kohlekonzerns werden«, betonte der Greenpeace-Mann.

Namens der Verbände forderte Kaiser eine »Intervention der Bundeskanzlerin und zwar noch vor Mittwoch dieser Woche«. Bei der für diesen Tag erwarteten Regierungserklärung von NRW-Landeschef Laschet müsse klargestellt werden, dass die ältesten und schmutzigsten Kraftwerke im Umfang von 3000 Megawatt »stückweise von jetzt bis 2022« vom Netz genommen werden. Da dürfe es kein Wackeln geben, warnte Kaiser. Entweder bleibe es beim Minimalkonsens mit den 3000 Megawatt im Westen oder der Minimalkonsens würde für die Verbände »nicht mehr gelten«, kündigte Kaiser die mögliche Aufkündigung des Kohlekompromisses an.

Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf die Drohung der Verbände direkt eingeht, ist kaum zu erwarten. Folglich ging Niebert mit Merkel hart ins Gericht. Er bezeichnete deren Äußerung, man könne die Klimaziele 2030 auch am 31. Dezember 2029 erreichen, als klimapolitischen »Irrsinn« und energiepolitisch als »vollkommenen Unsinn«. Während die Kohlekommission den Ball vors Tor gelegt habe, sei die Bundesregierung gerade dabei, den Kohleausstieg zu versemmeln, sagte der DNR-Präsident.

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