Zwei Jahre im Speicher

Fragwürdige Erfassung von Politikerdaten in Kiel

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Anmeldung einer Demonstration gegen Rassismus und Sexismus innerhalb des Polizeiapparats im Sommer 2016 sorgte dafür, dass Daten des aus Kiel kommenden Spitzenkandidaten der Piratenpartei für die anstehende Europawahl Patrick Breyer über zwei Jahre im Polizeispeicher registriert waren. Erst nach einer Pro-Forma-Anfrage des Juristen zu Daten über seine Person teilte ihm Schleswig-Holsteins Landespolizei den Vorgang mit und löschte ihn aus dem Computer: Überwachungsstaat an der Waterkant!

Dabei hatte der 42-Jährige unmittelbar vor dem vorgesehenen Straßenprotest die mit gerade einmal zehn Teilnehmern angemeldete Demonstration abgesagt. Sie hat also überhaupt nicht stattgefunden. Es darf nun gerätselt werden: Handelt es sich um allgemeine Sammelwut oder hat es etwas damit zu tun, dass Breyer zuvor diverse Missstände in der Ausbildungsstätte für Polizeianwärter an die Öffentlichkeit gebracht hatte, die künftig den Kieler Landtag in Form eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses noch beschäftigen werden?

Breyer, bis 2017 Landtagsabgeordneter, hat noch keine Antwort, zeigt sich aber auch vor dem Hintergrund von Fridays For Future-Aktionen entsetzt, dass Demonstrationsanmelder wie Verbrecher im kriminalpolizeilichen Staatsschutzraster landen. Breyer: »So etwas kann Personen durchaus abschrecken, Versammlungen anzumelden.« Das vertrage sich in keiner Weise mit der Versammlungsfreiheit - egal ob Laternenumzug oder politische Kundgebung. Die Polizei verweist auf das Landesverwaltungsgesetz und Dokumentationsfristen. Mit der Erklärung will Breyer sich nicht zufrieden geben. Er beschwerte sich deshalb beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz. Dort angefragt, teilte Behördenleiterin Marit Hansen lediglich mit, ihr Haus habe die Landespolizei in der Angelegenheit um eine Stellungnahme bezüglich Aufbewahrungsfristen, Zugriffsmöglichkeiten und Recherchierbarkeit von Einträgen gebeten.

Lorenz Gösta Beutin, Bundestagsabgeordneter und Landessprecher der LINKEN im nördlichsten Bundesland, zeigt sich mehr als beunruhigt: »Es ist nicht Aufgabe des Staatsschutzes, einen Landtagsabgeordneten zu kriminalisieren, der die Arbeit der Polizei kritisch begleitet.« Der Fall werfe ein Licht darauf, wie schnell Bürger durch eine mehr als fragwürdige Erfassung stigmatisiert werden. »Die dieser Speicherung zugrunde liegende Praxis muss überprüft, dringend und zeitnah geändert werden.«

In der Polizeiausbildungsstätte Eutin löste seinerzeit eine sogenannte WhatsApp-Affäre Wirbel aus. In einer privaten Chatgruppe tauchten unter Polizeianwärtern rassistische Postings auf. Dazu gesellten sich Vorwürfe frauenfeindlicher Bemerkungen und Beleidigungen. Um eine Aufklärung bemüht, machte Breyer die bekannt gewordenen Verfehlungen einzelner Anwärter publik. Der engagierte Bürgerrechtler hat sich in der Vergangenheit durch Klagen vor höchstrichterlichen Instanzen gegen staatliche Datenspeichermaßnahmen einen Namen gemacht. Vor einem Jahr reichte er Verfassungsbeschwerde gegen die Befugnis der Bundespolizei zum Massenabgleich von Kfz-Kennzeichen an Grenzübergängen ein.

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