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»Unser Spiel ist ernst gemeint«
Nico Semsrott wird bald für die PARTEI im EU-Parlament sitzen. Seine Zeit als depressiver Demotivationstrainer ist vorbei
Die PARTEI hat bei der EU-Parlamentswahl bundesweit 2,4 Prozent der Stimmen erhalten, in Berlin waren es 4,8 Prozent. Sehen Ihre Wähler*innen mittlerweile etwas anderes in Ihnen als eine Spaßpartei?
Ich habe nicht mit allen 900.000 Wählerinnen und Wähler gesprochen und kann das deswegen nicht für alle sagen. Es ist einerseits ein alarmierendes Zeichen, weil die anderen Parteien ebenso viele Stimmen an uns verlieren, und andererseits ein gutes Zeichen, dass wir gewählt werden und nicht die AfD oder gar keine Partei. Ich bleibe dabei, dass wir das Motto »Besser als nix« vertreten.
Nico Semsrott, 33 Jahre alt, ist Satiriker und Poetry-Slammer. Bei den EU-Parlamentswahlen am 26. Mai 2019 stand er für die satirische PARTEI auf Listenplatz zwei. Als Abgeordneter wird er nun ins EU-Parlament einziehen. Bekannt wurde Semsrott mit seiner Figur als antriebslos-depressiver junger Mann, der nicht lächelt. Als solcher stand er deutschlandweit auf Bühnen und gewann mehrere Preise, unter anderem 2017 den Deutschen Kleinkunstpreis.
Martin Sonneborn ging als Satiriker nach Brüssel, mittlerweile macht er zusätzlich ernsthafte Politik. Statt wie angekündigt abwechselnd mit Ja und Nein zu stimmen, richtet er sich auch danach, wie Grüne und LINKE abstimmen. Werden Sie das in den kommenden fünf Jahren auch so handhaben?
Ich werde das von vornherein machen. Einfach, weil es genauso wenig anstrengend ist wie mit Ja und Nein abzustimmen. Man kann sich ja die Abstimmungslisten von ihnen geben lassen, und dort abgucken.
Und was wollen Sie anders machen?
Ich werde mehr als zweimal im Jahr durch ein Video auffallen. Ich werde versuchen, eine Art Youtuber im Europäischen Parlament zu werden. Den Rezo-Effekt einfach für die CDU auf fünf Jahre strecken. Dass sie denken: Oh nein, nicht der Semsrott schon wieder. Wann hört das mit den Fakten endlich auf.
Apropos Youtuber und junge Leute, Sie werden einer der jüngsten Abgeordneten im EU-Parlament sein. Beschäftigt Sie das?
Ja, es ist absurd. In jeder anderen Weltregion würde ich zur älteren Bevölkerungshälfte gehören. Und hier auf dem europäischen Kontinent bin ich noch 15 Jahre Teil der jüngeren Generation. Das beschäftigt mich natürlich total. Ich kann jetzt aber noch nicht sagen, was das alles mit mir macht. Wenn ich in den Ausschüssen ertragen muss, wie Senioren die Realität leugnen. Ich befürchte, ich werde ziemlich wütend werden.
Wütend zu sein tun ja manche als eine Eigenschaft junger protestierender Leute ab, die sich mit dem Älterwerden legen würde. Damit werden Forderungen von Jüngeren nicht ernst genommen.
So wie ich das alles wahrnehme, ist die jüngste Generation mit Abstand die vernünftigste. Wenn man sich Fridays for Future und die Youtuber anguckt. Als Dagi Bee im Aufrufvideo gegen die CDU für die Aufklärung argumentierte, sind mir die Tränen gekommen. Weil ich es nicht fassen konnte. Wie absurd kann eine Medienwelt sein, in der Beautyblogger vernünftigere Dinge sagen als CDU-Vorsitzende. Ich glaube die jüngeren Generationen verstehen zumindest die Medienwelt, die da kommt, sehr viel besser.
Wenn Sie von »die jüngeren Generationen« sprechen, zählen Sie sich schon nicht mehr dazu?
Ja, ich bin kein Digital Native. Mir bereitet es körperliche Schmerzen, eine Instagram-Story zu machen. Trotzdem habe ich, soweit ich weiß, die zweitmeisten Follower von allen deutschsprachigen Europaparlamentariern.
Haben Sie damit gerechnet, dass Sie gewählt werden? Wenn ja, seit wann war Ihnen klar, dass Sie wirklich für fünf Jahre ins EU-Parlament gehen?
Seit dem Sea-Watch-Spot bin ich eigentlich davon ausgegangen, dass das reichen müsste.
Die erst vom ZDF verbotene und dann doch ausgestrahlte Wahlwerbung der PARTEI, in dem die NGO Sea-Watch die fehlende Seenotrettung auf dem Mittelmeer thematisierte.
Da hat sozusagen der Realoflügel der Partei zugeschlagen. Um deutlich zu machen, dass Satire nur ein Mittel zum Zweck ist. Das war sozusagen Meta-Satire, weil wir uns gar nicht als Partei profilieren müssen. Sondern bei jeder einzelnen Aktion neu entscheiden können, was die Botschaft ist, die wir verbreiten wollen. Und das ist das große Vergnügen an dieser Partei, dieses anarchische Element. Dass wir nicht nach den elendig schlimmen Regeln der anderen spielen müssen. Wir dürfen spielen, das ist das Tolle. Und unser Spiel ist ernst gemeint.
Sie sind schon in Brüssel für Verhandlungen. Mit wem verhandeln Sie dort und über was?
Da schaue ich mir ab, wie andere Politiker Floskeln ausprobieren, und meine Floskel ist: Wir gehen da gerade sehr ergebnisoffen in die Verhandlungen und reden mit allen. Während der Verhandlung kann ich nicht offen reden, mit wem ich verhandle und über was. Auf jeden Fall wird das Ergebnis sehr gut.
Warum verhandeln Sie überhaupt schon etwas in Brüssel, statt erst einmal eine Pause zu machen, um Ihrem antriebslosen Ruf nachzukommen?
Der Ruf ist ja spätestens jetzt für immer ruiniert. Ich habe sowieso schon ganz viel gelacht in letzter Zeit. Dass ich ins Europaparlament gewählt wurde und das bei einer viel höheren Wahlbeteiligung finde ich weiterhin völlig unglaublich. Dementsprechend ist meine Karriere als Demotivationstrainer ohnehin beendet. Und ich habe immer schon deutlich gemacht, dass ich auch etwas erreichen will damit. Deswegen bin ich gleich am ersten Tag hier in Brüssel. Um die Leute zu überzeugen, von dem was ich mache und viele Möglichkeiten zu bekommen, das umzusetzen.
Also ein ernsthafter Abgeordneter zu werden, aber das spaßig aufzubereiten.
Genau. Ja.
Wenn Ihre Karriere als Demotivationstrainer vorbei ist, muss dann überhaupt die Kapuze, Ihr Markenzeichen, auf dem Kopf bleiben? Sie hatten vorher gesagt, dass Sie sich bereits im EU-Parlament über eine Kleiderordnung erkundigt hatten, und Sie könnten Ihre Kapuze auflassen.
Ich kann mir auch eine knallgelbe Puschelperücke ganz gut vorstellen, aber ich will meine Haarpracht nicht in der Öffentlichkeit zeigen.
Sido hat seine Maske nach Jahren auch abgenommen.
Es wird auf jeden Fall Veränderungen geben. Ich werde diese depressive Figur nicht mehr komplett durchziehen. Aber ich glaube viele Wählerinnen und Wähler erwarten von mir auch, dass ich erst einmal in dieser Figur im Plenum sitze. Einfach weil der Kontrast so schön ist zu all den Anzugträgern.
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