Contra Aust

Tim Wolff über Stefan Aust und seinen weltverheerenden Moralismus, der deutscher kaum sein könnte

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Stefan Aust, einst »Spiegel TV«-Wackeldackel, »Spiegel«-Chef und Kindesentführer, pardon: Befreier der Kinder Ulrike Meinhofs, begann seine Karriere einst links unten bei »Konkret«. Nun beendet er sie rechts unten als Herausgeber des politischen Darknets namens »Welt«. Dort pflegt er traditionelle Formate wie das Pro & Contra, das stets eine Spielwiese fürs konzise Lügen war, eine Rhetorikübung und Widerspruchssimulation, bei der es nicht darum geht, eine eigene Haltung zu entwickeln, sondern jede beliebige vom Chef verlangte Meinung vertreten zu lernen und damit vor allem die herrschende. Journalismus eben.

In der »Welt am Sonntag« gab er nun das Contra in Sachen Klima: »Vor uns die Sintflut! Dürre in Deutschland! Tornados! Der Tipping Point naht, dann geht die Welt unter!« Wer zum Einstieg schon sacksarkastisch Fakten und rational begründete Warnungen weghaut, der faselt natürlich rasch von einer »linken Mitte« und referiert, was sein rechtsradikales Verschwörungspublikum ihm in die Artikelkommentare ablädt: »Wie die vergangenen Wärmeperioden ... zustande gekommen sind, ohne dass es Kohlekraftwerke und Diesel-Autos gegeben hat, bleibt dabei eher unklar« - wenn auch nur dem, der sich nicht mal oberflächlich mit dem wissenschaftlichen Konsens beschäftigt. »Auch die aus Bohrkernen ... ableitbare Beziehung zwischen CO2-Gehalt der Atmosphäre und den jeweils herrschenden Temperaturen hilft kaum weiter: Immer liegen nämlich die Erwärmungen vor dem CO2-Anstieg und nicht umgekehrt« - was auch den Schluss zulässt, dass der nicht direkt menschengemachte CO2-Anstieg noch folgen wird und gerade darum die Warnungen dringlich sind.

Da Aust weiß, wen er bedient, hat er sich zuvor immunisiert: »Wer diese unumstößlichen Tatsachen der Computermodelle anzweifelt, ist ein Klimaleugner, entweder nur dumm oder in fragwürdiger politischer Gesellschaft.« Aust ist alles drei, aber immerhin großzügig in seiner Arroganz gegenüber Menschen, die sich ernsthaft mit der Problematik beschäftigen: »Aber wir wollen den Potsdamer Klima-Gurus und allen ihren Followern ihre Apokalypse nicht schlechtreden.« Danke.

Dass einer die Thesen des Systems rationaler Zweifel als Mode abtut, aber seine quarterinformierten Zweifel als besseres Wissen ausstellt, ist auch die Methode des Journalismus der Männer der alten BRD, der seine letzte Begeisterung bei den Lügepresse-Rufern findet, die Aust & Co. selbst gezüchtet haben. Erstaunlich ist, wie nun zur üblichen Systemstützung (»Wenn die Klimapanik dazu führt, dass weniger fossile Brennstoffe verbrannt werden, ist das ja gut - die sind schließlich endlich«) und dem partikular genutzten antikapitalistischen Reflex (»Mit der Klimabedrohung lässt sich nämlich gut Geld verdienen«) auch noch antideutsche Motive hinzukommen, also der gescheiterte Versuch bundesdeutscher Linker, die BRD zu entsorgen: »Vom ›Refugees Welcome‹ des Septembers 2015 bis zum ›Greta-Hype‹ des Frühjahrs 2019 zieht sich ein moralischer Bogen: die Deutschen als selbst ernanntes Vorbild für die Welt.« Franz Werfel zitierend (»Zwischen Weltkrieg Zwei und Drei drängten sich die Deutschen an die Spitze der Humanität und Allgüte«) kommt Aust zu dem Schluss: »Und wenn der Klima-Hype abgeklungen ist, wird sich ein anderes Thema finden, mit dem man die Welt retten kann - oder wenigstens so tun als ob.« Wo er recht hat, hat er unrecht. Denn mit der Kritik am weltverheerenden Moralismus gegen die Wissenschaft anzugehen, die die Welt zu retten versucht, könnte kaum deutscher sein. Und sich deshalb an einem »Hype« um eine junge Frau abzuarbeiten, der vor allem von um alte Bedeutung jammernden Männern genährt wird, könnte austscher nicht sein. Vielleicht entführt er Greta Thunberg noch, pardon: rettet sie.

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