Tränengas gegen Demonstranten

Hongkongs Demokratiebewegung legt Parlament lahm und feiert Teilerfolg

  • Felix Lee
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit so heftigen Protesten hatten selbst die Organisatoren nicht gerechnet. Nathan Law, einer der Anführer der Demokratiebewegung von 2014, rief die Demonstranten zur Besonnenheit auf. »Redet miteinander, bleibt zusammen, passt aufeinander auf«, riet er in einer kurzen Ansprache, nachdem am Mittwochnachmittag die Proteste vor dem Hongkonger Parlamentsgebäude eskaliert waren.

Tausende Demonstranten hatten seit dem frühen Morgen das Gebäude und die umliegenden Straßen im Zentrum der Finanzmetropole blockiert und die Abgeordneten am Einlass gehindert. Nach dem Willen von Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam sollten sie über das umstrittene Auslieferungsgesetz debattieren, das es ermöglichen soll, vermeintliche Straftäter an die Volksrepublik China auszuliefern.

Doch für die Parlamentarier gab es kein Durchkommen. Plastikflaschen flogen durch die Luft, die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein, es kam zu Rangeleien, vereinzelt auch zu Steinwürfen. Zumindest einen Teilerfolg konnten die Demonstranten erringen. Am Vormittag teilte der Parlamentspräsident mit, die angesetzte Sitzung werde bis auf weiteres verschoben.

Es sind Bilder, die ungewöhnlich sind für die chinesische Sonderverwaltungszone. Bis 1997 war Hongkong eine britische Kronkolonie. Die Führung in Peking hatte bei der Übergabe den Hongkongern zugesichert, der Grundsatz »ein Land, zwei Systeme« werde weitere 50 Jahre Rechte gelten. Neben eigener Währung und eigener Gesetzgebung gehört dazu auch das Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit sowie eine unabhängige Justiz.

Doch genau diese Freiheitsrechte sehen viele Hongkonger bedroht. 2014 gingen über mehrere Monate hinweg Hunderttausende bei den sogenannten Regenschirm-Protesten auf die Straße, um für ein freies Wahlrecht zu demonstrieren. Die chinesische Führung blieb hart. Das Hongkonger Parlament ist mehrheitlich von Abgeordneten besetzt, die direkt von Peking ernannt sind. Entsprechend KP-treu sind sie.

In diesen Tagen sind es noch einmal sehr viel mehr. Und es sind mehrheitlich nicht mehr nur Schüler, Studenten und Lehrkräfte wie noch vor fünf Jahren. Geschäftstreibende, Beamte machen mit, die Gewerkschaften haben gar zu einem mehrstündigen Generalstreik aufgerufen. Das war vor Kurzem in der Businessmetropole Hongkong undenkbar.

Wahrscheinlich eine Million Menschen demonstrierten am Sonntag gegen das Auslieferungsgesetz. Kriminelle aus den Philippinen würden schließlich auch in ihr Heimatland abgeschoben, verteidigt Regierungschefin Lam das Gesetz, das ihr zufolge gar nicht die Führung in Peking vorgegeben, sondern sie auf eigenes Betreiben eingebracht hat.

Kritiker halten ihr entgegen, dass Chinas Justizsystem nicht unabhängig sei, nicht internationalen Standards entspreche, Andersdenkende politisch verfolgt würden, Folter und die Todesstrafe drohten. Amnesty International zufolge lässt kein Land so viele Menschen hinrichten wie China. Regierungschefin Lam beteuert, China-Kritiker würden nicht ausgeliefert.

Viele Menschen in Hongkong trauen diesen Zusagen aber nicht und fürchten, mit dem neuen Auslieferungsgesetz könnten chinesische Sicherheitskräfte in Hongkong ganz legal politisch Unliebsame verschleppen. Vom »letzten Kampf für Hongkong«, spricht der Anwalt und ehemalige Abgeordnete Martin Lee, ein Urgestein der Hongkonger Demokratiebewegung. Fast alle Demonstranten am Sonntag waren in weiß gekleidet, im chinesischen Kulturkreis die Farbe der Gerechtigkeit, zugleich aber auch die Farbe der Trauer. Regierungschefin Lam hat angekündigt, am Gesetz festhalten zu wollen.

Einen Vorgeschmack, was den Demonstranten schon in den nächsten Tagen drohen könnte, gab es bereits. Polizeichef Stephen Lo Wai-chung wetterte in einer Rede, die Proteste seien nicht mehr vom Recht der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gedeckt. Er stufte sie als »schwere Störung« ein, die den Einsatz von Waffen rechtfertige. Und er warnte: »Wir fordern die Menschen auf, nichts zu tun, was sie für den Rest ihres Lebens bereuen werden.«

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