- Kultur
- Bill Callahan
Aus dem Keller ins Kinderzimmer
Der Songwriter Bill Callahan, der sich früher Smog nannte, ist zurück. Er ist jetzt kein vergrübelter Schrat mehr, sondern Familienvater.
Meistens ist es ja so: Ist von einem »Spätwerk« die Rede, fällt dieses Wort oft in einer versöhnlichen positiven Besprechung eines mittelprächtigen Albums eines verdienten Künstlers, den der Rezensent schätzt. Daher gleich vorab: Der Folk-Singer und -Songwriter Bill Callahan hat nach mehrjähriger Pause ein herausragend schönes Spätwerk veröffentlicht. Es handelt sich um die 17. Langspielplatte, die er seit 1990 herausgebracht hat und trägt den Titel »Shepherd in a Sheepskin Vest«. Bis 2007 firmierte er unter dem Künstlernamen Smog, seither veröffentlicht er unter seinem bürgerlichen Namen. Zuletzt hatte sich einiges im Leben des inzwischen 53-Jährigen verändert. Mehr als fünf Jahre sind seit dem Erscheinen des Vorgängeralbums »Dream River« (2013) verstrichen: Callahan hat die Dokumentarfilmerin Hanly Banks geheiratet, mit der er gemeinsam einen Sohn gezeugt hat. Zudem sind seine Eltern ebenfalls nach Austin, Texas, gezogen, um nahe bei ihrem Enkel zu sein, doch Callahans Mutter starb bald darauf.
Was haben derlei Privatinformationen, zudem dermaßen gewöhnliche, hier in einer Rezension zu suchen?, so wird der eine oder die andere jetzt vielleicht fragen. Nun: Callahan wusste lange Zeit nicht, wie er die Familiengründung und sein Häuslichwerden mit seiner von unstetem Einzelgängertum geprägten Musikerlaufbahn verknüpfen sollte, auch künstlerisch, und er zog in Erwägung, ganz aufzuhören - daher auch die lange Pause. Die Lösung fand er schließlich darin, nun in seinen Songs weniger um sich und seine Weltsicht zu kreisen, sondern ganz konkret um die Familie und die neue, offenbar ungewohnte Situation.
Das Risiko, damit zu scheitern, war wiederum hoch, denn welche ästhetisch wertvollen Alben gibt es schon zum Thema des glücklich-zufriedenen, aber auch herausfordernden Familienalltags. Bei Callahan kommt hinzu, dass die Rolle eines nachdenklichen elder statesman, der - mit einer reduzierten Instrumentierung, ohne verzerrte Gitarren, mit Kontrabass und nur pointiertem Einsatz von Schlagzeug und Tasteninstrumenten - aus seinem Leben berichtet, zwar einen folgerichtigen Schritt seiner Entwicklung markiert. Zugleich könnte diese Art der Entrückung kaum weiter entfernt liegen von der Stimmung seiner düsteren Anfangswerke, die geprägt waren von sperrigen Lo-Fi-Aufnahmen und bisweilen verstörend intimen Texten und Klängen.
Angesichts der kryptisch-minimalistischen ersten Alben, auf denen er auch seine zurückgezogene Kindheit thematisierte, erzählte Callahan vor bald 25 Jahren dem Magazin »Spex« von seinen Geheimdienst-Eltern (beide arbeiteten für die NSA): »Ich saß einfach in meinem Keller und meine Eltern unternahmen keine Anstrengungen, eine Verbindung zwischen mir und der Welt herzustellen. (...) Ich habe ihr (der Welt) nie gezeigt, dass ich da bin. So hatte ich alle Freiheit der Welt.« Das liebevolle Familienbild, das Callahan nun in seinen heutigen Liedtexten zeichnet, steht dazu in überdeutlichem Kontrast, vor allem in dem Stück »Son of the Sea«, dem musikalischen und erzählerischen Höhepunkt des Albums: »The house is full of life / life has changed.« Die Alltagsbeobachtungen haben dabei immer auch eine weitere, allegorische Bedeutung, so zum Beispiel, wenn er von den notwendigen Umbauten im Hause singt: »The panic room is now a nursery / and there’s renovators renovating constantly.« Sich selbst inszeniert er wahlweise als Schäfer, der die Wölfe leid ist, oder als Sohn eines Fischers, der über das Meer nach seinen Nächsten Ausschau hält und Sorge für sie trägt.
Wegen des verstärkten Einsatzes von Slide-Gitarren und seiner warmen Atmosphäre erinnert das Album »Shepherd in a Sheepskin Vest« auch an Smogs grandioses Album »Red Apple Falls« (1997), das einen ersten Übergang vom Früh- zum Hauptwerk des Songwriters darstellt, wenn man solch hermeneutisch-akademische Kategorien zur Werkbetrachtung heranziehen möchte. Die Tiefe des Ausdrucks in der Musik Callahans lässt sich aber unbedingt mit der von kanonischen Künstlern wie Nick Drake oder Leonard Cohen vergleichen.
Nur der Erfolg jenseits der Indie-Nische ließ lange auf sich warten, auch länger als bei den Zeit- und Stilgenossen Will Oldham (Bonnie Prince Billy) und Chan Marshall (Cat Power). Während Oldhams »I See a Darkness« von Johnny Cash gecovert wurde und Cat Power mit ihrem Album »The Greatest« und stärkeren Anleihen im Soul ihren größeren Durchbruch hatte, blieb Smog in den Jahren nach der Jahrtausendwende zwar ein Indie-Kritikerliebling, doch erst nach seinem Album »Woke On a Whaleheart« (2007) und dem Abschied vom Pseudonym wurde die Resonanz wieder stärker. Callahans Bühnencharisma hat indessen nichts mehr gemein mit den Auftritten von Smog in den 90er Jahren, bei denen man es mit einem auf der Bühne in sich selbst Versunkenen zu tun hatte. Sein Baritongesang gleicht heute immer mehr dem eines Crooners, dem Publikum und der Welt zugewandt und mit einer gelassenen, lebenserfahrenen Grazie.
Bill Callahan: »Shepherd in a Sheepskin Vest« (Drag City)
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