- Brandenburg
- Rechtsextremismus
So viele Neonazis wie noch nie
Brandenburgs Verfassungsschutz zählt 1675 Rechte, darunter 1235 gewaltbereite
Von einem »bedrückenden Allzeithoch« sprach Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) am Mittwoch, als er den Verfassungsschutzbericht 2018 vorlegte. »Wenn es noch irgendeines Arguments dafür bedurft« hätte, dass der Verfassungsschutz personell aufgestockt wurde und mehr Befugnisse erhielt, so sei es dies: dass sich »in allen Deliktbereichen« die Zahl der Straftaten erhöht habe »bis hin zu historischen Höchstständen«.
»Der Extremismus wächst«, fasste Schröter zusammen und zeigte sich ratlos bis erschüttert angesichts der Tatsache, dass junge Menschen, die doch in Freiheit und Demokratie aufgewachsen seien und also »überhaupt keine Veranlassung hätten«, sich zu radikalisieren, dies nun doch tun. Es wachse »die Zahl der Menschen, welche das in Frage stellen oder sogar zerstören wollen«.
- Das islamistische Potenzial in Brandenburg ist laut Geheimdienst seit dem Jahr 2014 von 40 auf 180 Personen gestiegen.
- Der Verfassungsschutz führte 1129 Informationsveranstaltungen mit zusammen rund 42.000 Teilnehmern durch.
- Im vergangenen Jahr nahm der Geheimdienst 6200 Sicherheitsüberprüfungen vor. Solchen Überprüfungen muss sich beispielsweise unterziehen, wer in sensiblen Bereichen des Flughafens Schönefeld arbeiten möchte. Der Verfassungsschutz hat auch angeboten, Ordner beim FC Energie Cottbus auf etwaige Verstrickungen in die rechte Szene zu durchleuchten. winei
Die Zahl gewaltbereiter Neonazis in Brandenburg hat sich im vergangenen Jahr um 135 auf 1675 erhöht. So viele gab es hier noch nie. 123 rechte Gewalttaten wurden registriert. Eine weniger als im Jahr zuvor. Vornehmlich in Südbrandenburg schmiedeten Neonazis, Rocker, Kampfsportler, Sicherheitsdienste sowie Macher von Szeneklamotten und Rechtsrockproduzenten eine bedrohlichen Allianz.
Es ist da wenig tröstlich, dass Verfassungsschutzchef Frank Nürnberger berichten konnte, dass es 2018 »nur« vier Rechtsrockkonzerte und acht rechte Liederabende gegeben habe. Denn brandenburgische Rechtsrockmusiker seien bundesweit »dicke im Geschäft«.
Mit Parteien habe der Rechtsextremismus in Brandenburg immer weniger zu tun, fügte Nürnberger hinzu. Virulent seien diverse Kameradschaften, »freie Kräfte«, »Bruderschaften«, Vereine und Kampfsportgruppen. Die NPD zählt unverändert 280 Mitglieder, von denen aber kaum Aktivitäten ausgehen. Der Landesverband der Kleistpartei »Die Rechte« hat sich sogar aufgelöst. Etwas nach vorn ging es lediglich für die extrem neofaschistische Partei »Der III. Weg«, die zehn Mitglieder hinzugewann und dadurch nun in Brandenburg 40 Getreue hat. Die AfD taucht nicht im Verfassungsschutzbericht auf. Sie wird aber vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft.
Auf der anderen Seite zählt der Geheimdienst 620 Linksradikale. Dies sind 100 mehr als bisher. Doch während die Zahl der Linksradikalen seit fünf Jahren in Folge steigt, sank die Zahl der linksradikalen Gewalttaten erneut - konkret um sechs auf 18. Von der »Roten Hilfe« heißt es, sie kümmere sich »um Rechtsbeistand für politisch motivierte Straftäter« und müsse so bewertet werden, dass sie Gewalt rechtfertige und unterstütze. Warum diese Schlussfolgerung, da doch im Rechtsstaat jeder einen Strafverteidiger bekommen soll? Verfassungsschutzchef Nürnberger sagt, die »Rote Hilfe« gewähre nur jenen Angeklagten Hilfe, die im Prozess keine Reue zeigen. Andere dürften »nicht mehr viel erwarten«. Minister Schröter betonte, er persönlich habe ein »uneingeschränktes Vertrauen« in den Verfassungsschutz. Die Ergebnissen des NSU-Untersuchungsausschusses lassen allerdings erhebliche Zweifel an dieser Einschätzung aufkommen.
Bezogen auf den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke (CDU) sagte Verfassungsschutzchef Nürnberger, eine »abstrakte Gefahr« terroristischer Morde existiere immer, eine konkrete Gefahr für Brandenburg sei jedoch nicht bekannt. Der Innenminister bezeichnete Extremisten als »Atomkraftwerk mit Schwachstromsicherung«.
Bezogen auf den islamistischen Fundamentalismus war vom »Nordkaukasus« als Herkunftsort die Rede. Erwähnt wurden Muslimbrüder, die vorgeblich gewaltfrei agierten, dennoch im Auge hätten, dass das Wort Allahs allein maßgebend sei. Unter Ausnutzung der Flüchtlingsströme seien auch Männer nach Brandenburg gekommen, die über Kampferfahrungen als Jihadisten verfügen, darunter auch solche, die nach Deutschland zurückgekehrt sind. Es seien »einige wenige Extremisten«, erklärte Innenminister Schröter. Sie betrachten Deutschland als Rückzugsort.
Eine Aufstockung des Personals um 37 auf 130 Stellen ist dem brandenburgischen Verfassungsschutz zugestanden worden. Wie viele Leute schon eingestellt sind, wollte Nürnberger nicht verraten. Minister Schröter sagte: »Islamwissenschaftler wachsen nicht auf Bäumen.«
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