Protest vor Polizistenwohnung war keine Gewalttat

Mehrere Ermittlungsverfahren gegen Linke bereits eingestellt / Staatsanwaltschaft sieht in Straßenkonzert keine Straftat

  • Jana Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Jahr nach einer Protestaktion von Linken vor dem Privathaus eines Polizisten im niedersächsischen Hitzacker stehen alle Gerichtsverfahren gegen die Beteiligten kurz vor der Einstellung. Das geht aus Unterlagen hervor, die »nd« einsehen konnte.

Die Polizei Lüneburg schrieb in einer Pressemitteilung zu der Aktion von einer »neuen Dimension der Gewalt« und beeinflusste so entscheidend die Berichterstattung. Vermummte hätten das Grundstück des Beamten »gestürmt«, hieß es da. Die meisten Medien übernahmen ungeprüft die Darstellung der Polizei, einige Redaktionen nutzten Symbolbilder von wüsten Krawallszenen.

Angefangen hatte alles mit einer Razzia im Gasthof Meuchefitz, einem Treffpunkt der Anti-Atom-Bewegung des Wendlands, im Februar 2018. Mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten drangen in das Lokal ein und holten ein Solidaritätstransparent für die in Nordsyrien gegen den »Islamischen Staat« kämpfenden kurdischen Milizen der YPG und YPJ von einem Balkon. Es folgte ein Verfahren wegen angeblicher Unterstützung der in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK - das mittlerweile eingestellt ist.

Menschen aus dem Umfeld des Gasthofs veranstalteten wegen des rüden Vorgehens der Polizei am Pfingstwochenende 2018 eine Aktion vor dem Haus von Olaf H., einem an dem Einsatz im Februar beteiligten Staatsschützer. Unter anderem wurden dabei YPG- und YPJ-Wimpel an dessen Carport getackert. Einige Anwesende spielten mit mitgebrachten Instrumenten politische Lieder. Ein Video der Aktion zeigt zwar einzelne Vermummte, aber ebenso eine Person, die barfuß protestiert. Die Staatsanwaltschaft befand nun, dass der Beamte durch die Aktion »nicht zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen genötigt werden« sollte. Gleichwohl sei es nicht auszuschließen, dass es sich um eine »Protestaktion« gehandelt habe.

Gegen die Teilnehmer*innen waren Ermittlungsverfahren wegen versuchter Nötigung, Landfriedensbruchs, Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet worden. Sogar eines wegen Körperverletzung aufgrund der mutmaßlichen Erzeugung von Angstzuständen bei den Angehörigen des Beamten war in Erwägung gezogen worden.

Die Ermittler zählten 33 Tackernadeln am Carport - und stellten fest, es sei fraglich, »ob die Substanzverletzungen am Carport die Erheblichkeitsgrenze« überschritten hätten.

Dabei waren es Kollegen von Olaf H., die gewaltsam gegen die Demonstranten vorgegangen waren, als diese ihre Aktion bereits beendet hatten und sich auf dem Heimweg befanden. Die Protestierenden beschwerten sich über den Polizeieinsatz, bei dem mehrere Menschen verletzt wurden. Olaf H. warfen sie in einer Pressemitteilung vor, bei dem Kessel in Hitzacker auf Festgenommene, die am Boden lagen, eingetreten zu haben. H. sei zudem bereits zuvor dadurch aufgefallen, dass er vermeintlich Linksradikale »übermotiviert und aggressiv« verfolgt habe.

Die Behauptung einer »neuen Dimension« vermeintlich linker Gewalt konnten offenbar selbst zwei als Zeugen vernommene Polizisten nicht untermauern. Sie sagten, sie hätten sich »ungehindert« an der Personengruppe im »öffentlichen Verkehrsraum« vorbei zum Haus des Beamten bewegen können. Die Gruppe habe sich »augenscheinlich friedlich« verhalten, habe »musiziert und gesungen«.

Die Aktivist*innen fordern darum nun eine Entschuldigung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der sehr schnell die »Gewalt« gegen den Beamten verurteilt hatte. Manu Fürtig ist in Hitzacker festgenommen worden und kritisierte gegenüber »nd« insbesondere eine politisch motivierte Informationspolitik der Polizei. Durch diese und durch die »anschließende mediale Hetzkampagne« sei »Stimmungsmache von rechts betrieben« worden. Das werfe auch die Frage auf, wie ernst Journalist*innen ihre Verantwortung nähmen.

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