Die zweitbeste Lösung

Senat verabschiedet Luftreinhalteplan, um Schadstoffgrenzwerte einzuhalten

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Irgendwann platzt es aus ihr raus: »Was wir machen, ist das Zweitbeste. Die richtige Lösung wäre die Hardware-Nachrüstung von Dieselfahrzeugen gewesen, bezahlt durch die Autoindustrie. Und zwar vor vier Jahren«, erklärt Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) bei der Senatspressekonferenz am Dienstag. Aber das hätte eben die Bundesregierung entscheiden müssen. Der Senat könne nur einen Luftreinhalteplan aufstellen. Ziel ist es, dass 2020 die Jahresmittelwerte für Stickstoffdioxid unter dem Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft eingehalten werden können. Wegen der Nichteinhaltung hatte das Verwaltungsgericht Berlin einer Klage der Deutschen Umwelthilfe stattgegeben und das Land Berlin im Oktober 2018 verurteilt, bis Ende März 2019 einen neuen Luftreinhalteplan vorzulegen.

Die Frist wurde gerissen, im Juni hatte die Umwelthilfe nachgelegt und deswegen Zwangsgelder zur Durchsetzung beantragt. Nun ist der Plan da. Gesundheitsschutz sei dabei die erste Prämisse gewesen, sagt die Umweltsenatorin. »NO2 ist ein Reizgas, das Asthma verstärken, Entzündungen im Atemtrakt, Bindehautentzündungen und Kopfschmerzen verursachen kann. Wir wollten und mussten handeln«, erklärt sie. »Wir wollten auch die betrogenen Käuferinnen und Käufer von Dieselfahrzeugen nur so weit belasten, wie es zwingend notwendig ist«, nennt sie den anderen Aspekt.

Kernpunkte des Luftreinhalteplans

Die Nachrüstung von Stickstoffoxidfiltern und die Flottenerneuerung bei landeseigenen Unternehmen wie den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) oder der Stadtreinigung wird fortgesetzt. Die BVG beschafft zudem weitere Elektrobusse.

Die Parkraumbewirtschaftung wird von 40 auf 75 Prozent des Zentrums ausgeweitet. Bis auf Charlottenburg-Wilmersdorf sind alle Innenstadtbezirke dabei.

Tempo 30 wird auf Hauptstraßen ausgeweitet. Abschnitte von 33 Straßen sollen hinzukommen, das Netz mit reduzierter Geschwindigkeit wird um rund 10 Prozent auf dann über 220 Kilometer wachsen.

Auf Abschnitten von acht Straßen mit zusammen 2,9 Kilometern Länge gibt es Durchfahrverbote für Diesel bis Schadstoffklasse Euro 5. In Mitte auf Leipziger, Brücken-, Reinhardt- und Friedrichstraße, in Moabit auf Stromstraße und Alt-Moabit, in Neukölln auf Hermann- und Silbersteinstraße. nic

Das scheint auch bei den Durchfahrverboten auf Abschnitten von acht Straßen durch. Die können schon wegen mangelnder Durchsetzbarkeit kaum überzeugen. Weil der Bund keine Plaketten einführen will, mit denen die Kraftfahrzeuge bis inklusive Abgasnorm Euro 5 auf einen Blick identifizierbar sind, sind Verstöße gegen das Fahrverbot auf diesen fünf Promille des Berliner Straßennetzes kaum zu ahnden. »Der Personalkörper der Berliner Polizei gibt es nie im Leben her, dass wir alle Verbotszonen dauerhaft im Blick behalten; durch einige ist man mit kurzem Tritt aufs Gaspedal schnell wieder durch und noch haben wir keine entsprechende Plakette«, sagt auch Benjamin Jendro, Sprecher des Landesverbands der Gewerkschaft der Polizei.

Dazu kommt noch die Anliegerregelung. Jeder, der halbwegs glaubhaft versichern kann, ein Ziel innerhalb des für sein Fahrzeug eigentlich gesperrten Abschnitts anzusteuern, ist ausgenommen. Da irritiert die Beschwerde der Fachgemeinschaft Bau über die Fahrverbote schon etwas. Unbürokratischer geht es kaum noch, denn Ausnahmen müssen nicht beantragt werden.

Auf Kapweg und Leonorenstraße in Reinickendorf hat der Senat Fahrverbote gestrichen. Bei Ersterem gebe es keine Anwohner, begründet Günther, bei Letzterer setze man auf Tempo 30. Neu hinzugekommen ist die Neuköllner Silbersteinstraße. »Das ist die einzige Straße in Berlin, auf der die Stickstoffdioxidwerte im vergangenen Jahr noch zugenommen haben«, sagt die Senatorin.

Die Schilder für die Fahrverbote sowie für Tempo 30 auf mehr als 20 zusätzlichen Hauptstraßenkilometern sollen spätestens Anfang September montiert werden. Etwas länger dürfte es mit der Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung auf drei Viertel der Innenstadt dauern. Dafür sind nämlich die Bezirke verantwortlich. Der Senat will sie jedoch dabei unterstützen. Ein bis drei Mikrogramm weniger NO2 verspricht sich die Verwaltung davon, durch weniger Parksuchverkehr und weniger Autofahrer, die dann Ziele in der Innenstadt ansteuern. Die Parkgebühren von bisher ein, zwei oder drei Euro pro Stunde sollen dann auch um einen Euro angehoben werden. »Wir müssen nur noch die neue Gebührenordnung veröffentlichen«, so Günther.

Busse, Müllautos und weitere kommunale Fahrzeuge tragen laut Günther ein Viertel zu den NO2-Werten bei. Die Ausrüstung mit entsprechenden Filtern soll bis Jahresende abgeschlossen sein, verspricht sie.

Es überrascht nicht, dass die Berliner Industrie- und Handelskammer dem Luftreinhalteplan bescheinigt, er sei ein »ausgewogenes Konzept«.

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