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Die instabile Stabilität
Felix Jaitner über die Bedeutung der Proteste in Moskau
Bloß kein zweiter Protestsommer! Es scheint als habe Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin diesen Satz zu seinem heimlichen Wahlkampfmotto auserkoren. Nichts soll vor den Kommunalwahlen in der russischen Hauptstadt am 8. September daran erinnern, dass die pünktlich zum Anpfiff der Fußballweltmeisterschaft 2018 verabschiedete Erhöhung des Renteneintrittsalters die größte Protestbewegung seit Jahren auslöste. Dies könnte ja unliebsame Erinnerungen wecken. Denn mit der Weigerung der Moskauer Bevölkerung, den jüngst beschlossenen Wahlausschluss der 57 Oppositionskandidaten zu akzeptieren, steht plötzlich nicht nur das Schreckgespenst Protest wieder vor der Tür. Vor den Regionalwahlen, in denen, außer in Moskau, auch über 16 Gouverneure in der Provinz abgestimmt wird, droht die Politisierung einer weitgehend apolitischen Gesellschaft.
Die Furcht der Staatsmacht ist berechtigt: Von 2014 bis 2018 sanken die real verfügbaren Einkommen der Bevölkerung. Das Durchschnittseinkommen in Russland betrug 2017 ganze 600 Euro, dafür haben die 98 russischen Milliardäre ein größeres Vermögen als die gesamten Ersparnisse der Bevölkerung.
Die Angst, dass diese Ungerechtigkeiten in politischen Protest münden könnten, treibt Russlands Herrschende um. Deshalb beschwören sie »Stabilität« und »Ordnung«. Und offensichtlich fürchten sie, dass bereits 20 000 Menschen diese Stabilität ins Wanken bringen könnten.
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