Wichtiger Abrüstungsvertrag zwischen USA und Russland endet

Deutscher Außenminister Heiko Maas warnt vor neuem atomarer Rüstungswettlauf

  • Lesedauer: 5 Min.

Washington. Mit dem INF-Vertrag über das Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen erlischt an diesem Freitag einer der wichtigsten Abrüstungsverträge zwischen den USA und Russland. Damit können die beiden Länder wieder ohne Beschränkungen solche Waffen bauen - deswegen wird ein neuer atomarer Rüstungswettlauf befürchtet.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas warnte vor einem solchen Szenario. Auch UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich besorgt. Mit dem Auslaufen des Abkommens verliere die Welt einen »unschätzbaren« Mechanismus zur Verhinderung eines Atomkriegs, erklärte er in New York.

Washington hatte den INF-Vertrag Anfang Februar mit Rückendeckung der Nato-Partner gekündigt, weil sie vermuten, dass Russland ihn seit Jahren verletze. Wenig später setzte auch Moskau das Abkommen aus. Beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld für die Eskalation.

US-Präsident Donald Trump hatte am Mittwoch mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin telefoniert. Nach Darstellung von Trump ging es in dem Gespräch aber nicht um den INF-Vertrag. Trump sagte am Donnerstag vor Journalisten, Russland sei daran interessiert, an einem Nuklearvertrag zu arbeiten. Details ließ er offen. Zuletzt hatte es zwischen beiden Seiten keine Bewegung gegeben. Mit Blick auf den INF-Vertrag erklärte Trump: »Wir werden sehen, was passiert«.

Kurz vor dem offiziellen Ende des Vertrags schlug Moskau den USA und der NATO erneut ein Moratorium auf die Stationierung von Raketensystemen mittlerer und kürzerer Reichweite in Europa vor. In einem, in der Nacht zum Freitag veröffentlichten Interview der russischen Nachrichtenagentur Tass, betonte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow zugleich, dass sich Moskau in der Diskussion nicht einschüchtern lassen wolle. »Druck, Pressing und Gewalt - das ist nicht die Sprache, mit der wir mit uns reden lassen,
wer auch immer das sein mag.«

Washington und die NATO werfen der russischen Regierung vor, mit ihren Raketen vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8) gegen den Vertrag verstoßen zu haben, weil sie weiter fliegen als es erlaubt sei. Moskau bestreitet dies und beteuert, vertragstreu gewesen zu sein.

Das russische Waffensystem soll in der Lage sein, Marschflugkörper abzufeuern, die sich mit Atomsprengköpfen bestücken lassen und mehr als 2000 Kilometer weit fliegen können. Russland gibt die maximale Reichweite der SSC-8 hingegen mit 480 Kilometern an. Das wäre vertragskonform, da das Abkommen lediglich den Besitz landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern untersagt.

Moskau warnte die US-Regierung am Donnerstag erneut vor der Stationierung landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa. Sollte es dazu kommen, behält sich Moskau nach Darstellung des Außenministeriums vor, analog in der Nähe der USA solche Waffen zu stationieren. Militärexperten in Moskau sehen etwa Venezuela oder Kuba als mögliche Standorte.

Die NATO will nun in den kommenden Monaten entscheiden, wie sie auf das Aus für den Abrüstungsvertrag und die russischen SSC-8 reagiert. Eine Option ist, dass die Bündnisstaaten ihre Präsenz im östlichen Bündnisgebiet und in der Ostsee verstärken und den Schutz kritischer Infrastruktur durch Raketen- und Luftabwehrsysteme ausbauen. Zudem könnten neue wirkungsvolle konventionelle Waffensysteme und Raketenabwehrsysteme stationiert werden, um Russland abzuschrecken. Diese Option könnte aber eine Wiederaufrüstung auf beiden Seiten zur Folge haben.

Die Stationierung von neuen landgestützten atomaren Mittelstreckenraketen in Europa gehört nach Angaben von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg derzeit nicht zu den Optionen. Man müsse das russische Verhalten nicht spiegeln, um weiter eine glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung zu gewährleisten, heißt es zur Begründung.

Dazu kamen aus Moskau scharfe Worte des russischen Vizeaußenministers Rjabkow. Moskau schenke den Beteuerungen der NATO, dass es innerhalb des Bündnisses keine Pläne zur Stationierung nuklear bestückter Raketen in Europa gebe, keinen Glauben. »Entsprechende Beteuerungen im Allgemeinen kann man sicherlich nicht glauben«, wurde Rjabkow von der Agentur Tass zitiert. »Das Bündnis hat wiederholt seine früheren
Versprechungen gebrochen, seine Pläne und Absichten geändert.«

Lesen sie auch: »Es sieht nach Aufrüstung aus«. Nach dem Aus des INF-Vertrags fordert Christoph von Lieven ein Zusammengehen von Klima- und Friedensbewegung

Der frühere beigeordnete NATO-Generalsekretär Heinrich Brauß und der stellvertretende Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Christian Mölling empfehlen die Entwicklung landgestützter nuklearer Mittelstreckenwaffen und ihre Stationierung in Europa nicht von vornherein auszuschließen. Nur auf diplomatische Bemühungen zu setzen und bestimmte militärische Gegenmaßnahmen von vornherein auszuschließen, schwäche Europas Verteidigung und erhöhe die Optionen
Russlands, schrieben sie jüngst in einer Analyse.

Außenminister Heiko Maas erklärte am Donnerstag, es müsse auch mit dem Ende des Vertrags gelingen, »Regeln zur Abrüstung und Rüstungskontrolle zu vereinbaren, um einen neuen Wettlauf um Atomwaffen zu verhindern«. Er forderte beide Länder auf, nun
wenigstens des New-Start-Vertrag zur Begrenzung strategischer Atomwaffen zu erhalten. Das Abkommen sieht vor, die Nukleararsenale auf je 800 Trägersysteme und 1550 einsatzbereite Atomsprengköpfe zu verringern. Es läuft 2021 aus. Moskau und Washington hatten sich bereit erklärt, über eine Verlängerung zu sprechen. Greifbares gibt
es aber bisher nicht. dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal