Mieter wollen nicht geschröpft werden

Bürger in Jena wollen mit ihren Wohnungsmieten nicht länger andere kommunale Belange finanzieren

  • Sebastian Haak, Jena
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn Marcel Helwig von der Mieterhöhung erzählt, die ihn auf die Barrikaden getrieben hat, möchte man seinen Ohren nicht trauen. Der 32-Jährige wohnt seit 2014 in einer Wohnung von Thüringens größtem Wohnungsunternehmen jenawohnen. Mehr als 14 000 Wohnungen in Jena gehören der Gesellschaft. Der Student lebt im Plattenbauviertel Jena-Lobeda. 2016 kam der Bescheid, der ihn heute noch wütend macht: »Die wollten mir die Miete auf einen Schlag um 20 Prozent erhöhen.«

Dabei wirbt jenawohnen mit günstigen Mietpreisen. Firmensprecher Stefan Dreising betont gegenüber »nd«, die Preissteigerung für Bestandsmieten im Unternehmen liege im Schnitt bei 1,5 Prozent pro Jahr.

Doch Helwig hat das Schreiben mit der Ankündigung der drastischen Mieterhöhung aufbewahrt, kann seinen Vorwurf also belegen. Und Regina Lustermann hat Vergleichbares erlebt. Von ihr habe jenawohnen 2018 auf einmal 15 Prozent mehr Kaltmiete gewollt, sagt sie. Dennoch will sie ihre Wohnung vorerst behalten. Lustermann und Helwig haben sich gegen die Mieterhöhungen juristisch gewehrt. Letzten Endes mussten sie der Erhöhung aber zustimmen. Bei Helwig fiel sie immerhin ein wenig niedriger aus als zunächst vom Vermieter gefordert. Er einigte sich mit jenawohnen auf einen Vergleich.

Helwig und Lustermann sind mit ihrem Frust nicht allein. Die Unzufriedenen haben sich 2018 in der Bürgerinitiative (BI) »Für soziales Wohnen in Jena« zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Die Eigentümerstruktur von jenawohnen umgestalten. Denn damit verbinden die hier Engagierten die Hoffnung, dass drastische Mieterhöhungen wie bei Helwig und Lustermann nicht mehr vorkommen. Denn in der BI ist man davon überzeugt, dass es bei jenawohnen systematische Mietsteigerungen gibt - etwa, um Teile der Innenstadt zu sanieren oder um Renditeerwartungen zu befriedigen.

Um diesen Vorwurf zu verstehen, muss man die Eigentümerstruktur von jenawohnen kennen. Die Gesellschaft ist in einen Stadtwerkeverbund eingegliedert. Das Unternehmen gehört laut Sprecher Dreising zu 94 Prozent der Stadtwerke Energie Jena-Pößneck GmbH und zu sechs Prozent der Stadt Jena. An den kommunalen Stadtwerken ist wiederum die Thüga mit 20 Prozent beteiligt. Sie ist heute mit rund 100 beteiligten Stadtwerken das größte Netzwerk kommunaler Energie- und Wasserdienstleister in der Bundesrepublik.

Aus Sicht der BI ist insbesondere die Thüga-Beteiligung ein Problem. Denn über diese Struktur können, so die Aktiven, Teile der Mieten zum Beispiel zur Finanzierung des Bus- und Straßenbahnverkehrs von Jena verwendet werden. Tatsächlich wies jenawohnen für 2017 einen Überschuss von fast 18 Millionen Euro nach Steuern aus.

Die BI wirf der Thüga zudem vor, über ihre Anteile an den Stadtwerken Geld der Mieter als Rendite abzuschöpfen. Jedes Jahr, sagt Helwig, wolle die Holding 5,5 Prozent Rendite von jenawohnen sehen.

Dreising widerspricht: Es gebe keine derartigen Renditevorgaben. Dagegen sagt Thüga-Sprecher Detlef Hug: »Für die Stadtwerke Energie Jena-Pößneck haben wir gemeinsam mit der Stadt Jena vereinbart, dass die Ertragskraft der Stadtwerke und ihrer Beteiligungen sich an der genannten Kennzahl orientieren soll.«

Die BI will, so Lustermann, erst einmal, »dass die Thüga rauskommt«. Das Geld, um der Holding ihre Anteile an den Stadtwerken Energie Jena-Pößneck abzukaufen, sei in Jena vorhanden. Langfristig solle jenawohnen eine 100-Prozent-Tochter der Stadt werden und alle Gewinne dort bleiben, um die Mieten stabil zu halten und Wohnungen zu sanieren.

In der Kommunalpolitik treffen die Forderungen auf Ablehnung. Jenas Oberbürgermeister Thomas Nitzsche (FDP) machte in einer Videobotschaft klar, dass die Mieter hier letztlich nichts zu sagen haben: »Jemand der so tut, als hätte er die gleichen Rechte wie ein Eigentümer, irrt sich.«

Die Vorstellungen der BI sind tatsächlich ziemlich radikal. Denn bei Umsetzung ihrer Forderungen würden Tausende Wohnungen der Logik des Marktes entzogen. Zugleich wäre Schluss mit dem Querfinanzierungsmodell von öffentlichen Aufgaben, das in vielen Kommunen praktiziert wird.

Einen ersten Antrag der BI auf Zulassung eines Bürgerbegehrens in der Sache hat die Stadtverwaltung Jena im Februar 2019 abgelehnt. Begründung: Die Forderungen seien nicht gesetzeskonform. Demnächst soll ein neuer Antrag eingereicht werden.

Dass die Fronten in Jena verhärtet sind, dürfte auch damit zu tun haben, dass Mieten in Vierteln wie Lobeda noch immer relativ günstig sind. Denn trotz der drastischen Erhöhung zahlt er aktuell gerade 4,60 Euro kalt pro Quadratmeter. Bis 2016 waren es 3,90 Euro. Doch Menschen mit geringem Einkommen müssen auch bei solchen Preisen einen überdurchschnittlichen Anteil ihrer Einkünfte für ihre Wohnung aufwenden.

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