Erschossen - aber nicht ermordet?

Wegen des gewaltsamen Todes eines 32-Jährigen in Essen gerät die Polizei in Erklärungsnot

  • Dennis Pesch
  • Lesedauer: 4 Min.

Rotes Panzertape klebt über dem Einschlussloch im Türglas der Haustür in der Essener Drügeshofstraße, wo die Polizei Adel B. am 18. Juni erschossen hat. Etwa zwei Monate später stehen 70 Menschen auf der Straße. Unter den Demonstranten befinden sich die Hinterbliebenen des erschossenen Deutschen, einige Anwohner und linke Gruppen. In der Drügeshofstraße spricht die Mutter von Adel B. über ein Smartphone zu den Demonstranten. Sie schluchzt: »Hinter dieser Tür wurde mein Sohn getötet. Ich verspreche, im Namen der Familie, dass ich mit meinem Anwalt dafür kämpfe, dass es zum Prozess kommt und für Gerechtigkeit gesorgt wird.« Am Straßenrand weint Adel B.s ehemalige Lebensgefährtin, Bianca C.

Über den Tod des 32-Jährigen wurde nach der Tat nur das bekannt, was Polizei und Staatsanwaltschaft erklärten. Demnach soll Abel B. die Polizei verständigt haben, weil er gedroht habe, sich das Leben zu nehmen. Ein Messer soll er sich am frühen Morgen auf der Altendorfer Straße an den Hals gehalten haben. Mindestens 30 Minuten habe der Einsatz laut der ermittelnden Staatsanwaltschaft Essen gedauert - bis Adel B. im Flur eines Hauses in der Drügeshofstraße erschossen wurde. Er soll auf der Türschwelle zu seiner Wohnung gestanden haben und mit einem Messer auf sie zugegangen sein. In »Notwehr« habe ein Beamter einen Schuss in seine Brust abgegeben, hieß es.

Doch Ende Juli verlor die Polizei einen Teil der Deutungshoheit, nachdem das Video eines Augenzeugen öffentlich wurde. Die Polizei hatte das Material von seinem Smartphone auf die Festplatte der Ermittler transferiert. »Danach war das Video nicht mehr auf meinem Handy«, sagt der Nachbar dem »nd«. Weil er alle Daten seines Smartphones in einer Cloud speichert, fand das Video Ende Juli über die Initiative »Gerechtigkeit für Adel B.« doch den Weg an die Öffentlichkeit.

Entgegen der Darstellung von Polizei und Staatsanwaltschaft stand Adel B. - das zeigt das Video - nicht mit dem Messer auf der Türschwelle, er bewegte sich auch nicht auf die Beamten zu. Im Gegenteil: Die drei Beamten, die ihn den ganzen Morgen über bereits mit gezogener Waffe über mindestens eine halbe Stunde durch den Stadtteil Altendorf verfolgt hatten, rannten ihm bis zur Haustür nach. Als diese gerade hinter Adel B. zufiel - zwei der Beamten standen schon vor der Tür - kam ein dritter hinzu und gab den Schuss durchs Türglas in seine Brust ab.

Bereits zwei Tage zuvor soll Adel B. damit gedroht haben, sich das Leben zu nehmen, die Polizei soll die Lage deeskaliert haben. Einen weiteren Vorfall hatte es laut Staatsanwaltschaft neun Tage vor dem tödlichen Schuss gegeben. Adel B. hatte einen zehntägigen Verweis für seine Wohnung erhalten, weil er seine Lebensgefährtin mit einem Messer bedroht haben soll. Bianca C. sagte der »WAZ«: Wirkliche Gewalt habe es nie gegeben, ihr Freund habe sie nur bedrängt, ihm Geld zu geben. Als sie ihm keines gab, ließ er sich nicht beruhigen: »Ich wusste mir keinen Rat, da habe ich die Polizei gerufen. Die sollten ihn mitnehmen, dass er mal runterkommt.«

Nachdem das Video öffentlich wurde und seitdem die Notwehr-These nur schwer zu halten ist, sprach die Staatsanwaltschaft von Nothilfe: »Notwehr leistet man, wenn man einen Angriff auf sich selbst und Nothilfe, wenn man einen Angriff auf einen anderen abwehrt«.

Gegen die Lebensgefährtin und ihre Kinder hätte sich der Angriff nicht richten können. Sie hatte Adel B. in seinen letzten Minuten am Telefon, die Kinder waren bei einer Freundin. Die Haustür soll ein Nachbar geöffnet haben. Zudem hat die Polizei ihr den Zugang zu ihrem Freund verwehrt.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt bislang nur den Umstand seiner Tötung. Ein mögliches Tatmotiv, beispielsweise aus rassistischen Gründen, wird, wenn überhaupt, erst überprüft, wenn eine Straftat vorliegt. Ermittelt wird aber, ob es in der Situation eine andere Option als den Schusswaffeneinsatz für die Beamten gegeben hat. Genau diese Frage beschäftigt auch die Mutter: »Adel, mein Sohn, brauchte keine Kugel. Er brauchte Hilfe. Warum war es nicht möglich, einen Psychologen zu holen?«, fragte sie. Versuche, Adel B. zu beruhigen, habe es von der Polizei zahlreiche gegeben, beteuert die Staatsanwaltschaft. Doch offenbar taten die Beamten das, wenig Vertrauen aufbauend, mit gezogenen Waffen. Die Staatsanwaltschaft verteidigt dieses Vorgehen: »Wenn sich jemand mit einem Messer in der Hand auf die Polizei zubewegt, dann ist doch klar, dass die Beamten ihre eigene Waffen ziehen.«

Auf der Demonstration sprachen die meisten Teilnehmer von »Mord« wie die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. Das könnte laut Polizei Essen Konsequenzen haben: »Wir haben den Anmelder der Versammlung darauf hingewiesen, dass es strafrechtlich relevant sein könnte«, so eine Pressesprecherin. Für die Teilnehmer ist das eine Drohung, was sie aber nicht davon abhält zu sagen, dass es sich um Mord handle: »Die Polizei lügt gemeinschaftlich mit der Staatsanwaltschaft, und das nennt sich dann Rechtsstaat«, erklärte ein Redner.

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