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Der neue Hauptgegner

Aus der Pazifikstrategie der USA entstehen massive Interessenkonflikte mit China

  • Bernd Biedermann
  • Lesedauer: 8 Min.

Für China ist die asiatisch-pazifische Großregion von entscheidender ökonomischer und militärischer Bedeutung. Das spiegelt sich auch in dessen Strategiedokumenten wider. Dabei ist zu beachten, dass in einem Streifen von 500 bis 1000 Kilometer eines etwa 3200 Kilometer langen Abschnitts seiner Küste der größte Teil der Bevölkerung, des Wirtschaftspotenzials und fast alle Metropolen des Landes liegen. Über die Seehäfen werden mehr als 80 Prozent der Importe und Exporte abgewickelt.

Territorial-maritime Streitfragen Chinas mit seinen Nachbarstaaten existieren hauptsächlich mit Taiwan und um Inselgruppen im Ostchinesischen Meer wie die Senkaku-Inseln (Japan), die Paracel- und Spratley-Inseln (Vietnam) und das Scarborough-Riff (Philippinen). Entsprechend setzt sich China in dem Raum für Frieden und Stabilität ein und betreibt eine »aktive Verteidigung auf See«.

Der Autor

Bernd Biedermann, Jahrgang 1942, war Oberst der Luftverteidigung und der Militäraufklärung in der NVA. Von 1979 bis 1982 war er an der DDR-Botschaft in Peking tätig, 1984 bis 1988 war er Militärattaché in Brüssel und Luxemburg. Er arbeitet als Publizist und Buchautor. U.a. veröffentlichte er das Buch »Offizier, Diplomat und Aufklärer der NVA – Streiflichter aus dem Kalten Krieg«.

Der hier leicht gekürzt dokumentierte Text ist zuerst im außenpolitischen Magazin »WeltTrends« erschienen. Das August-Heft enthält einen Themenschwerpunkt »Militär und Vertrauen« mit Beiträgen u.a. zur Strategie Russlands und zur nordkoreanischen Atompolitik. In weiteren Beiträgen geht es um den Umgang mit der arabischen Revolution und die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen im Mittelmeerraum.

Zum Weiterlesen: www.welttrends.de

So heißt es im Weißbuch zur Militärstrategie Chinas 2015: »Die See- und Ozeangebiete spielen hinsichtlich eines stabilen Friedens, einer anhaltenden Stabilität und gesicherten Entwicklung Chinas eine besondere Rolle. Die traditionelle Auffassung, dass das Land wichtiger sei als die See, muss überwunden werden. Der Schutz der maritimen Rechte und Interessen ist für China von außerordentlicher Bedeutung. China muss in Übereinstimmung mit seinen Sicherheits- und Entwicklungserfordernissen eine moderne maritime Militärstruktur entwickeln, um seine Souveränität, maritimen Rechte und Interessen zu gewährleisten. China muss die strategischen Bedingungen sicherstellen, um sich selbst zu einer Seemacht zu entwickeln.«

Obamas Konzept, Trumps Praxis

Die Bedrohungsperzeption umfasst sowohl die emotionale als auch die rationale Wahrnehmung einer empfundenen bzw. tatsächlich vorhandenen Bedrohung. Daraus erklärt sich, dass Bedrohung von den Beteiligten höchst unterschiedlich wahrgenommen wird. Was die chinesische Führung jedoch rational wahrnehmen musste, waren die konzeptionellen Ausführungen von US-Präsident Obama vor dem australischen Parlament im Jahr 2011. Demnach stehe im Mittelpunkt des außen- und machtpolitischen Interesses der Vereinigten Staaten nicht länger die Region des Mittleren Ostens, sondern man wolle sich nunmehr auf Asien und die Pazifik-Region konzentrieren: »Meine Orientierung ist eindeutig. Vor dem Hintergrund unserer zukünftigen Pläne werden wir im Haushalt die erforderlichen Mittel bereitstellen, um unsere starke militärische Präsenz in der Region aufrechtzuerhalten.«

Während sich die Obama-Administration noch bemühte, es so darzustellen, als richte sich diese Politik nicht gegen China, werden die drastischen Folgen in der Trump-Politik deutlich. Die vorrangige Orientierung der US-Militärstrategie ist nicht mehr auf den Kampf gegen den Terrorismus, sondern auf die Eindämmung Chinas gerichtet. Die Gesamtregion bilde nunmehr das »Schwerkraftzentrum« der Weltwirtschaft. Wollten die USA ihren Status als Weltmacht Nr. 1 behalten, müssten sie ihre Vormachtstellung in dieser Region wiederherstellen und den chinesischen Einfluss zurückdrängen. Das sei in den kommenden Jahren eine der wichtigsten außenpolitischen Herausforderungen. Zwar sind die USA nicht unmittelbarer Anrainer dieser Region, jedoch unterhalten sie dort viele Stützpunkte, so in Südkorea, auf Japan und Guam, in Thailand, auf den Philippinen, in Malaysia und Singapur, in Australien und Neuseeland.

Die Pazifikdoktrin als neues strategisches Konzept der USA mit ihrer Konzentration auf den militärischen Faktor hinterlässt einen provozierenden Eindruck. Die angekündigten Schritte gehen in Richtung einer verstärkten Militärpräsenz in der Region. Dazu haben die USA das Air-Sea-Battle-Konzept entwickelt. Es hat die Handlungs- und Operationsfreiheit der USA auf See, in der Luft, im Cyberraum und im Weltall durch schnelle, flexible Präsenz in Spannungsgebieten zu gewährleisten. Das Konzept zielt in erster Linie auf den asiatisch-pazifischen Raum, weil von China angeblich eine wachsende Bedrohung für die USA ausgeht. Chinas Strategie sei zwar defensiv angelegt, jedoch offensiv gegen regionale Staaten und die USA gerichtet.

Mindesten fünf der gegenwärtig verfügbaren elf Flugzeugträger der USA gehören zur Pazifikflotte. Sie stellen für China eine permanente potenzielle Bedrohung dar. Nicht chinesische Kriegsschiffe kreuzen vor der amerikanischen Küste, sondern US-amerikanische vor der chinesischen!

Energiepoker der Großmächte

Infolge des rasanten Wirtschaftswachstums Chinas hat sich sein Verbrauch an Erdöl vervielfacht. 2008 verbrauchte das Land 7,8 Millionen Barrel täglich. Laut Berechnungen des US-Energieministeriums könnte der Erdölverbrauch im Jahre 2020 bei über 13 Millionen Barrel pro Tag liegen. Trotz Kernkraftwerken und erneuerbaren Energien wird die Energiesituation Chinas in Zukunft schwierig bleiben. Die USA sehen derweil einer günstigen Energieversorgung entgegen. Durch das Fracking-Verfahren beim Erdgas und erhöhte Erdölförderung werden riesige Energiereserven erschlossen. Die USA werden somit zu einer führenden Energieexportmacht.

Für China ergibt sich aus der veränderten Energiesituation eine relative strategische Schwächung, aus der eine zusätzliche Bedrohung erwächst. Zwar wird die Volksrepublik weiter Erdöl- und Erdgasimporte über Pipelines aus Kasachstan und Russland erhalten. Aber ein Großteil muss von Tankern aus dem Nahen und Mittleren Osten, Afrika und Lateinamerika über Seewege herangeschafft werden. Diese können von der US-Navy kontrolliert, behindert oder unterbrochen werden. Gegenwärtig versucht die US-Administration, gerade diese Meeresregion unter die Kontrolle der US-Marine zu bringen. Modernisierung und Ausbau der chinesischen Seestreitkräfte sind die Folge.

Die chinesischen Streitkräfte

China strebt erklärtermaßen keine Vorherrschaft an, will aber den ihm zustehenden Platz in der Welt wieder einnehmen, ohne eine militärische Expansion zu betreiben. Es sei hier nur daran erinnert, dass China im 15. und 16. Jahrhundert eine Großmacht war und bis 1820 mehr Güter produzierte als ganz Europa. Heute spielt aber angesichts der Konfrontation mit den USA neben einer weiteren erfolgreichen ökonomischen Entwicklung auch der militärische Faktor eine wichtige Rolle. China will zur Sicherung seiner strategischen Interessen über eine glaubwürdige Abschreckung und über adäquate Streitkräfte verfügen. Es gibt jedoch keine Anzeichen dafür, dass sich die chinesische Führung auf einen zwanghaften Rüstungswettlauf einlassen wird.

Die Volksbefreiungsarmee erfährt einen nie da gewesenen Wandel zu einer der modernsten Armeen der Welt. Die chinesischen Verteidigungsausgaben lagen in den letzten zehn Jahren stets unter zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes BIP). 2018 wurden 250 Milliarden US-Dollar für die Verteidigung ausgegeben (in den USA mit 645 Milliarden US-Dollar über drei Prozent ihres BIP). Die steigenden Rüstungsausgaben sind auf die anstehende Modernisierung der Streitkräfte zurückzuführen, die bei einem relativ niedrigen Niveau einsetzte. Bedeutsam ist, dass gegenwärtig die Anzahl der Militärbezirke von sieben auf fünf verringert und der Personalbestand der Streitkräfte von 2,3 auf unter 2 Millionen zurückgeführt wird. Die Teilstreitkräfte, strategische Raketentruppen sowie Unterstützungstruppen wurden reorganisiert.

Die Landstreitkräfte haben eine Personalstärke von 1,6 Millionen Männern und Frauen. Der Generalstab führt die Militärbezirke mit ihren Verbänden und Armeen. Sie verfügen über alle Waffengattungen, Dienste und Spezialtruppen, die eine moderne Armee braucht, darunter auch eine starke Truppenluftabwehr. Im Bestand befinden sich über 2000 ballistische Raketen und ca. 7000 Kampfpanzer.

Die Seestreitkräfte (Personalstärke 255 000) gliedern sich in Über- und Unterwasserkräfte, Seeflieger, Marineinfanterie und Küstenverteidigungskräfte. Die Marine ist regional unterteilt in die Nordflotte (Provinz Shangdong), die Ostflotte (Provinz Zhejiang) und die Südflotte (Provinz Guangdong). Zum Bestand an Kampfschiffen gehören neben zwei Flugzeugträgern 120 größere Überwassereinheiten, 76 U-Boote, 230 Küstenschutz- und Patrouillenboote. Gegenwärtig läuft ein breites Programm für den Bau neuer Schiffe mit verschiedenen Bestimmungen. Jährlich laufen der Marine ca. 70 neue Schiffe zu. Die Verteidigungskräfte der Küsten sind in 25 Bereichen organisiert. Die Marineinfanterie besteht aus zwei Brigaden mit zusammen etwa 10 000 Mann.

Die Luftstreitkräfte (Personalstärke bis 330 000) umfassen die Fliegertruppen, die Luftverteidigung des Landes, Luftlandetruppen, elektronische Abwehr und elektronische Aufklärungstruppen. Die Fliegertruppen bestehen aus 29 Fliegerdivisionen. Insgesamt verfügen die Luftstreitkräfte über mindestens 1200 Flugzeuge. Die Luftverteidigung gliedert sich in die Flugabwehrraketentruppen. Sie stellen die Hauptfeuerkraft der Luftverteidigung des Landes dar. Peking und Schanghai zählen zu den wenigen Zentren in der Welt, die über eine hochwirksame Luft- und kosmische Verteidigung verfügen. Gegenwärtig läuft die Ausrüstung mit modernen Kampfflugzeugen eigener Produktion, die in ihren taktisch-technischen Daten amerikanischen und russischen Typen nahekommen.

Die Strategischen Raketentruppen (Personalstärke ca. 100 000) werden direkt von der Zentralen Militärkommission geführt. Zu ihrem Bestand gehören alle landgestützten, nuklear bestückten Raketen strategischer und operativer Reichweite. Die Raketen befinden sich in sieben Basen, die je nach ihrer Bestimmung in Brigaden gegliedert sind (drei bis sieben Brigaden je Basis). Die neuen strategischen Raketen haben eine Reichweite von 14 000 Kilometern und sind mobil. Die Gesamtzahl der Raketen mit operativer und strategischer Bedeutung beträgt ca. 800. Ihre Reichweiten liegen zwischen 2000 bis 14 000 Kilometer. Darunter gibt es eine Vielzahl operativ-taktischer Raketen mit Reichweiten zwischen 300 und 2400 Kilometer.

Erfolgreich war China auch in der Weltraumforschung und beim Einsatz von Satelliten zur militärischen Aufklärung und Kommunikation. So können die Bewegungen aller Flugzeugträgerverbände ununterbrochen verfolgt werden. China ist in der Lage, US-amerikanische Satelliten in den Höhen von 1900 bis 35 000 Kilometern zu vernichten oder deren Arbeit zu behindern. Seit 2011 verfügt China mit Tiangong über eine eigene Raumstation.

Partnerschaft mit Russland

Das Verhältnis zu Russland ist für China zu einer strategischen Partnerschaft mit hohem Symbolgehalt geworden. Beide Staaten haben ein enges politisches Zusammenwirken gegen das Hegemoniestreben der USA entwickelt, verfolgen aber strikt eigene Interessen. Identische oder ähnliche Positionen vertreten sie zum Thema einer multipolaren Welt, der Achtung des Völkerrechts, der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, der Rüstungskontrolle, einer neuen Sicherheitsarchitektur im asiatisch-pazifischen Raum sowie dem Kampf gegen Terrorismus und Drogen.

Der russische Außenminister Sergei W. Lawrow äußerte sich zur »Strategischen Partnerschaft« Russland-China und zog im Zusammenhang mit dem 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs Lehren aus der Geschichte. Sie zeigten, wie wertvoll eine gleichberechtigte, gegenseitig respektvolle Partnerschaft ist, die im Grunde das einzige Mittel zur Verhinderung von Konflikten ist. »Genau diese Philosophie liegt den russisch-chinesischen Beziehungen zugrunde, die gerade ihre beste Phase in der Geschichte erleben und sich konsequent weiterentwickeln. (...) Im Grunde handelt es sich dabei um zwischenstaatliche Beziehungen eines neuen Typs, um ein neues Kooperationsmodell für das 21. Jahrhundert.«

Dieses Modell Russland-China verdeutlicht, dass die Probleme zwischen den Staaten am besten durch Kooperation und nicht durch Konfrontation zu lösen sind. Es könnte auch eine Vision für die Beziehungen China-USA sein.

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