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»Antifa Ost«: Bis 2027 vor Gericht

In Dresden beginnt mit dem Verfahren gegen die »Antifa Ost« eines der größten politischen Verfahren seit Jahrzehnten

Antifa, die Antwort auf fast alle Fragen.
Antifa, die Antwort auf fast alle Fragen.

Am kommenden Dienstag beginnt vor dem Dresdner Oberlandesgericht ein echter Mammutprozess. Bis zum Sommer 2026 sind im Schnitt zehn Verhandlungstage pro Monat anberaumt, und das Gericht plant mit weiteren Terminen bis weit ins Jahr 2027. Sieben Antifaschist*innen wird vorgeworfen, einer kriminellen Vereinigung angehört oder diese unterstützt zu haben.

Bei der Vereinigung soll es sich um die »Antifa Ost« handeln, die von den USA kürzlich auf die Liste ausländischer Terrororganisationen gesetzt wurde. Die Bundesanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, eine »überregional vernetzte Gruppierung« mit »militant linksextremistischer Ideologie« gegründet zu haben. Über mehrere Jahre hinweg soll die Gruppe »intensiv vorbereitete« Angriffe auf Personen verübt haben, die man der »rechten Szene« zurechnete. Konkret werden sechs der sieben Angeklagten Angriffe in wechselnden Konstellationen vorgeworfen. Etwa auf ehemalige Teilnehmer von Naziaufmärschen in Dresden und Magdeburg, auf den Betreiber eines neonazistischen Treffpunkts in Eisenach, einen Laden des rechten Labels Thor-Steinar in Dortmund oder rund um den NS-verherrlichenden »Tag der Ehre« in Budapest 2023.

Zweites Verfahren in Düsseldorf

Am 13. Januar beginnt am Düsseldorfer Oberlandesgericht ein weiterer Staatsschutzprozess, der auf den »Budapest-Komplex« zurückgeht – Auseinandersetzungen zwischen Antifaschist*innen und Neonazis im Februar 2023 beim ungarischen »Tag der Ehre«.
Hier sind sechs Antifaschist*innen angeklagt – Paula P., Emilie D., Nele A., Moritz S., Clara W. und Luca S. –, die sich im Frühjahr 2025 selbst gestellt haben und seitdem in Untersuchungshaft sitzen. Die Anklage lautet auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährliche Körperverletzung und versuchten Mord. Alle Angeklagten wurden fast zwei Jahre mit europäischem Haftbefehl gesucht.
Für alle Beteiligten stand die Auslieferung nach Ungarn im Raum. Bekanntlich war die Beschuldigte Maja T. im Juni 2024 über Nacht nach Ungarn ausgeliefert worden, was das Bundesverfassungsgericht im Nachhinein für unzulässig erklärte. T. befindet sich seitdem dort in Isolationshaft, ihr drohen bis zu 24 Jahre Haft. Der Tatverdächtige Zaid A., der sich ebenfalls gestellt hat, ist aus Furcht vor einer Auslieferung nach Ungarn nach Frankreich geflohen, wo Gerichte in einem ähnlichen Fall die Auslieferung abgelehnt haben.
Den Beschuldigten des »Budapest-Komplex« wird von ungarischen und deutschen Behörden eine Nähe zu der als kriminelle Vereinigung erklärten »Antifa Ost« vorgeworfen. Das manifestierte sich zuletzt auch im Urteil gegen Hanna S., die vom OLG München in einem Indizienprozess zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Birgit W., Mutter einer Angeklagten, äußerte gegenüber dem »nd«: »Sich zu stellen war eine freiwillige Entscheidung der Gesuchten, obwohl die Auslieferung nach Ungarn nicht vom Tisch war. Sie zeigen damit, dass sie bereit sind, sich einem rechtsstaatlichen Prozess in Deutschland zu stellen. In Ungarn gibt es nur einen politischen Schauprozess, wie man im Prozess gegen Maja und auch gegen Tobi beobachten konnte.« John Malamatinas

Wegen der Ereignisse in Budapest steht Maja T. derzeit in Ungarn vor Gericht. Hanna S. wurde deswegen im September in München zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Sechs weitere Antifaschist*innen stehen deshalb auch ab Januar in Düsseldorf vor Gericht. Einige Taten, die den Angeklagten in Dresden vorgeworfen werden, waren auch schon Gegenstand des Prozesses gegen Lina E. und andere, der mit Freiheitsstrafen von zweieinhalb Jahren bis über fünf Jahren endete.

Besonders im Fokus von bürgerlichen und rechten Medien steht deshalb jetzt auch der Angeklagte Johann G., der mit Lina E. verlobt war. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, neben E. eine »herausgehobene Stellung« eingenommen zu haben. Ihm und zwei weiteren Angeklagten wird versuchter Mord vorgeworfen. Auffällig ist auch, dass viele Medien den von der extremen Rechten geprägten Begriff der »Hammerbande« für die Angeklagten übernommen haben.

Die Verteidiger der Angeklagten im Dresdner Verfahren beklagten schon kurz nach Erhebung der Anklage im vergangenen Juni eine Vorverurteilung ihrer Mandant*innen und äußerten sich skeptisch, ob die Anklage »in einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren verhandelt werden kann.« Sie erhoben den Vorwurf, die Staatsschutzabteilung des LKA Sachsen, die die Ermittlungen führt, habe nicht neutral ermittelt und Informationen aus dem Ermittlungsverfahren rechtswidrig weitergegeben. So seien einzelnen Medien vom LKA Informationen zugespielt worden, bevor diese den Verteidiger*innen bekannt gemacht wurden. Auch habe das LKA in einem Hintergrundgespräch die vollen Namen der Angeklagten genannt und ihnen einzelne Taten zugeordnet, bevor die Anwält*innen über die konkreten Vorwürfe informiert waren. Für die Verteidiger*innen ist das Verhalten des LKA ein »fundamentaler Verstoß« gegen die Unschuldsvermutung.

Auch bei der Roten Hilfe blickt man mit großer Skepsis auf den Prozess in Dresden. »Die Justizmaschinerie läuft auf Hochtouren, sperrt immer neue Aktivistinnen ein und zerrt sie vor Gericht, um die antifaschistische Bewegung einzuschüchtern«, erklärte Hartmut Brückner aus dem Bundesvorstand der Solidaritätsorganisation. »Die Zahl der Antifaschist*innen in deutschen Gefängnissen hat einen neuen Höchststand erreicht. Damit sendet der Staat ein deutliches Signal: Engagierter Antifaschismus, der über Lippenbekenntnisse hinausgeht, wird unnachsichtig verfolgt.« Brückner kritisierte auch die »absurden Dimensionen, die der Prozess mit aktuell geplanten 132 Verhandlungstagen« annehme. »Ganz offensichtlich soll an den Angeklagten ein Exempel statuiert werden«, so das Bundesvorstandsmitglied der Roten Hilfe.

Eine Vielzahl von Angeklagten, mindestens zwei Jahre Prozessdauer und parallele Prozesse in Ungarn und Düsseldorf stellen eine Herausforderung in Sachen Solidarität dar. Das weiß auch Hartmut Brückner: »Bei einer so langen Dauer sehen sich die Solidaritätsstrukturen besonderen Herausforderungen gegenüber, wenn sie den Prozess intensiv begleiten wollen.« Umso notwendiger sei es, dass kontinuierlich arbeitende Solidaritätsorganisationen wie die Rote Hilfe die beteiligten Gruppen unterstützten. Brückner wies außerdem auf die Verantwortung der Medien hin. Das öffentliche Interesse nehme nach Beginn der Prozesse schnell ab. Dabei sei es wichtig, regelmäßig über das Geschehen im Verfahren und die Haftbedingungen zu berichten.

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