Heute schon fremden Leuten Moralgesabbel aufgedrängt?

Zum allgegenwärtigen Druck

  • Paula Irmschler
  • Lesedauer: 3 Min.

Liebe Eltern! Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend, Familie und Ihr Intimleben startet einen neuen übergriffigen Feldzug gegen Ihre kruden Verhaltensweisen. Die Kampagne »Medien - Familie - Verantwortung - Heute schon mit Ihrem Kind gesprochen?« wird Ihnen ab sofort Manieren bei- und Sie von Ihrem Smartphone wegbringen.

In der Ankündigung heißt es: »Ob auf dem Spielplatz, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim gemeinsamen Essen - viele Eltern nutzen ihre Smartphones auch in Situationen, in denen sie mit ihren Kindern zusammen sind.« Klar, Kinder bekommen bedeutet aufzuhören, eigene Interessen zu haben. Alles muss dem Kind untergeordnet sein. Es muss die ganze Zeit beobachtet werden.

Abgebügelt

Paula Irmschler ist freie Autorin und kümmert sich an dieser Stelle alle 14 Tage um Dinge, denen man nur mit Heißdampf begegnen kann. Die Kolumne unter: dasND.de/abgebuegelt

Kinder können sich nicht allein, mit anderen Kindern oder anderen Erwachsenen beschäftigen. »Doch gerade kleine Kinder brauchen Aufmerksamkeit und Anregungen durch die Eltern, zudem sind Eltern wichtige Vorbilder.« Ach so! Gut, dass das noch mal klargestellt wird. Dass man Kinder erziehen muss, ist natürlich eine interessante, neue Information, die so noch nie in Eltern reingeprügelt wurde.

Hängen sollen die Plakate, auf denen Eltern zu sehen sind, die niederträchtig auf ihr Handy gucken, in Kita-Nähe, in Bezirksämtern und anderen öffentlichen Einrichtungen. Herrlich! Es ist unbedingt notwendig, dass noch mehr Menschen in der Öffentlichkeit übereilte Rückschlüsse auf das Leben anderer ziehen. Nicht selten sind es ja Frauen, die sich um Kinder kümmern, und die werden ohnehin die ganze Zeit kritisch beäugt bis angesprochen, wenn sie vermeintlich oder tatsächlich etwas falsch machen.

Sie sollen sich schämen, wenn sie öffentlich stillen, wenn sie sich mit anderen Müttern im Café treffen, wenn sie nur zu Hause »hocken«, wenn sie zu sehr »glucken« und wenn sie es zu wenig tun. Helikopter-Eltern gehen gar nicht, Smartphone-Eltern gehen auch nicht, und dazwischen findet man auch immer was. Nichts geht. Und schon gar nicht etwas Zeit für sich.

Was Handynutzung nicht unbedingt bedeuten muss. Sie kann auch Arbeit, Einkauf oder Organisation bedeuten. Sie kann aber auch bedeuten, dass man Kontakt zu wichtigen Menschen halten möchte oder gar Freude an Social Media und Co. hat. Und wer ist total bekannt dafür, sich mit Moderne und Technik auszukennen? Klar, die Verwaltungen. Deswegen muss man für jeden Scheiß auch eine Nummer ziehen und kann nichts online erledigen in diesem Land.

»Denken Sie daran, auch in Ihrer Mediennutzung sind Sie ein Vorbild für Ihr Kind«, ist einer der Tipps, die einem die Kampagnenheinis geben. Cool. Sollte ich mal ein Kind bekommen, hoffe ich, dass es richtig viel Spaß im Internet hat und lernt, dass wir beide eigenständige Menschen mit Bedürfnissen sind, die sich ihre Zeit selbst einteilen.

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