Schwarz, rot, wie?

Ulrike Wagener sondiert Koalitionsbräuche in Deutschland

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 2 Min.

Kaum gibt es in Deutschland Koalitionsgespräche, klingt es in deutschen Zeitungen nahezu kriegerisch: Mit Titeln wie »Kretschmers steiniger Weg nach Kenia« (Spiegel), »Sachsen nimmt Kurs auf Kenia« (nd) oder »Kommt Kenia in Sachsen?« (Zeit) wird derzeit über einen möglichen Zusammenschluss von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen berichtet.

Die Idee, Koalitionen nach Ländern zu benennen - respektive nach den Farben ihrer jeweiligen Flagge - hatte der Legende nach zuerst der heutige Unternehmenssprecher der Bayer AG in Leverkusen, weil er »gerade (…) dabei war, einen Karibik-Urlaub vorzubereiten« und ihm die »Flagge von Jamaika beziehungsweise ihre Farben ins Auge« fielen. Das kann man natürlich machen. Bedeutungen von Wörtern können sich ändern. In der Linguistik kennt man beispielsweise einen Bedeutungswandel, der auf Ähnlichkeit beruht. So meinte man früher mit »Maus« nur das Nagetier, heute aber auch eine Computermaus. Auch ein Wandel, der auf »Berührung« beruht, ist möglich. Ein Beispiel dafür ist, wenn ein Trinkgefäß »Glas« genannt wird, weil es aus eben jenem Material besteht.

Doch hierzulande steht man naheliegenden Ähnlichkeiten, die besondere Gewissheiten oder Industriezweige angreifen, eher ablehnend gegenüber. »Milch«, »Fleisch« oder »Butter« etwa darf man nicht auf pflanzliche Produkte schreiben, die »Milch«, »Fleisch« oder »Butter« ähneln, obwohl das linguistisch ohne Probleme machbar wäre. Auch was die Verwendung geschlechtsneutraler Sprache angeht, gibt man sich eher zögerlich.

Gilt es aber, Koalitionen von Parteien nach ehemals kolonisierten Ländern zu benennen, wirft man plötzlich alle Genauigkeit über Bord und ist freigiebig bereit, eine ganze Wortbedeutung über Nacht austauschen. Derweil wird eine Kenia-Koalition von Rechten bereitwillig als erwartbare Schablone des Hasses aufgenommen, die sich gleichwohl nicht (nur) gegen die betreffenden Parteien, sondern gegen das tatsächliche Kenia sowie Schwarze Migrant*innen richtet.

Vorgeblich soll die Abkürzung über die Nationalflaggen die Sache vereinfachen. Doch wer muss nicht einmal kurz überlegen, welche Parteien nun künftig unter »Kenia« subsumiert seien sollen? Wenn man ehrlich ist, handelt es sich um eine neckische Spielerei, die blendend funktioniert, solange es sich um Urlaubsparadiese handelt - oder um Deutschland. »Kretschmers steiniger Weg nach Afghanistan« würde wohl, obwohl farblich passender, in der aktuellen Lage missverstanden werden.

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