Der noble Vogelpreis

sieben tage, sieben nächte über die Turteltauben

»Bei Erregung gibt sie einen kurzen Laut ähnlich dem Lösen eines Sektkorkens von sich«, schreibt der Naturschutzbund Deutschland (NABU), und das spricht schon mal eindeutig für sie. Auch bei anderen Gelegenheiten macht sie nicht etwa »gurr, gurr« wie ihre Verwandten, sondern »turr, turr« und hat damit das sogenannte Turteln erfunden. Man zählt sie zu den Wildtauben, sie ist die kleinste unter den Ratten der Lüfte und fliegt als einzige ihrer europäischen Verwandten Langstrecke, nämlich alljährlich, wenn der Herbst naht, in die Sahelzone und im Frühling zurück. Sie lebt im Grünen, ernährt sich vegan und ist der Produktion jenes Taubenkots, der historischen Bauwerken zu schaffen macht und die Städte verunstaltet, gänzlich unverdächtig: die Turteltaube.

Dass sie den Menschen, wie es heißt, die Liebe bringt, den Frühling verkündet und sie sogar von Krankheiten heilt, hat ihr noch nichts Zählbares eingebracht. Als bräuchte es nicht unendlich viel von alledem, nicht zuletzt in einer Woche, in der der Hass wieder einmal zugeschlagen hat. Aufmerksamkeit hat die Turteltaube stattdessen mit der Tatsache erregt, dass ihr Bestand in wenigen Jahrzehnten so sehr abnahm, dass sie sich auf der Roten Liste der Vögel gar nicht erst mit der Vorwarnstufe aufhielt, sondern gleich die Kategorie »gefährdet« eroberte. Schuld daran ist vor allem der Verlust ihres Lebensraumes und ihrer Nahrung insbesondere durch die industrialisierte Landwirtschaft und den Einsatz von Herbiziden, aber auch die Jagd auf sie in Ländern, durch die ihre Reisen führen. Gerade vier Jahre ist die Einstufung als »gefährdet« her - und jetzt ist sie bereits zum »Vogel des Jahres 2020« gekürt worden, nicht zuletzt als Anerkennung für ihren hartnäckigen Überlebenskampf.

Nun ist in einem Taubenhirn das Streben nach Erhaltung der Art eigentlich schon genug des Guten in der gefühlt immer schlechter werdenden Welt, vor allem wenn das wie im Falle der Turteltaube zum Fulltime-Job geworden ist. Die Natur- und Vogelschützer haben diese Leistung anerkannt, auch ohne Liebe, Frühling und Gesundheit. Die Auszeichnung »Vogel des Jahres« kann man daher als eine Art Friedensnobelpreis für Vögel verstehen, auch wenn die Sache beim äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed, der mit dem echten Friedensnobelpreis geehrt wurde, ganz anders gelagert ist. Der hat für die Aussöhnung seines Landes mit Eritrea gekämpft und tatsächlich einen Friedensvertrag erreicht (Seiten 7 und 8).

Ehre, wem Ehre gebührt - auch den Turteltauben! In einem Blog des NABU lässt sich die Flugroute der Exemplare Melanie, Francesco, Jenny, Cyril und Luciano verfolgen, die auf ihren gefährlichen Reisen zuletzt in Senegal, Mali und Niger geortet wurden. Ob sie dort die Sektkorken knallen ließen, ist leider nicht bekannt. Regina Stötzel

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