Eine sozialdemokratische Blamage zu viel

Rumäniens Regierung unter Ministerpräsidentin Dancila per Misstrauensvotum gestürzt

  • Silviu Mihai, Bukarest
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war die letzte Episode einer langen Agonie: Der liberalen Opposition ist es endlich gelungen, die benötigten Stimmen im Parlament zusammenzuzaubern, um die sozialdemokratische Regierung zu Fall zu bringen. Immer mehr Abgeordnete hatten seit der rechtskräftigen Verurteilung des früheren Parteivorsitzenden Liviu Dragnea Ende Mai das sinkende Boot der PSD verlassen. Um Viorica Dăncilă war es immer einsamer geworden. Das Scheitern der rumänischen EU-Kommissar-Kandidatin Rovana Plumb, das in den einheimischen Medien als internationale Blamage dargestellt wurde, gab schließlich den Anlass für den jüngsten Misstrauensantrag am Donnerstag.

Nach dieser Niederlage zeichnet sich vorerst ein Rückzug der Sozialdemokraten von der großen Bühne der rumänischen Politik ab. Tatsächlich braucht die Partei eine gewisse Reflexionszeit - und vor allem neue Kader, die kein Imageproblem haben. Das wird keine einfache Aufgabe, denn neben den zahlreichen Korruptionsskandalen plagt die aktuelle Führungsriege auch ein schlechter Ruf aus Inkompetenz, Arroganz und Grobianismus, der sie selbst für viele Menschen mit linken Ansichten praktisch unwählbar macht.

Dabei lässt sich die Bilanz der PSD-Regierungen, die seit der letzten Parlamentswahl Ende 2016 an der Macht waren, unterschiedlich betrachten: Es gab ein sehr starkes Wirtschaftswachstum, das rumänische Bruttoinlandsprodukt beträgt mittlerweile fast zwei Drittel des EU-Durchschnitts, und davon profitierten auch die Menschen mit geringen Einkommen. So wurden etwa die Renten inflationsbereinigt um 35 Prozent erhöht, während der Durchschnittslohn ebenfalls um ein Viertel stieg, all dies innerhalb von nur knapp drei Jahren. Die Arbeitslosenzahl hat historische Rekordtiefe erreicht. In den Großstädten herrscht längst ein akuter Mangel an Arbeitskräften, was der Druck auf die Unternehmen erhöht, bessere Gehälter zu zahlen, damit die Beschäftigten weniger versucht sind, nach Alternativen im europäischen Ausland Ausschau zu halten.

Trotz dieser positiven Entwicklungen im sozialen und im Wirtschaftsbereich liegen auch große Schatten über Dăncilăs Amtszeit: eine umstrittene Justizreform, gegen die Zehntausende Rumänen monatelang auf die Straße gingen, oder ein hohes Haushaltsdefizit, vor dem der Internationale Währungsfonds warnt.

Aus diesen Gründen sind die Chancen von Dăncilă, bei den Präsidentschaftswahlen im November auch nur in die zweite Runde zu kommen, relativ gering. Entsprechend bescheiden und pessimistisch fiel am vergangenen Samstag der offizielle Startschuss für ihren Wahlkampf aus: Der Sieg des Amtsinhabers Klaus Johannis gilt als sicher, den zweiten Platz wird bei einer hohen Beteiligung der Auslandsrumänen aller Wahrscheinlichkeit nach der ebenfalls wirtschaftsliberale Kandidat Dan Barna einnehmen. Dessen Partei, die Union »Rettet Rumänien« (USR), punktet nämlich den Umfragen zufolge vor allem bei der urbanen Mittelschicht und bei der jungen Generation, die weder die PSD noch die Nationalliberale Partei (PNL) von Johannis wählen möchte.

Da die rumänische Verfassung keine konstruktiven Misstrauensanträge zulässt, muss jetzt - mitten im Wahlkampf um das Präsidentenamt - auch eine neue Regierung gebildet werden. PNL-Vorsitzender Ludovic Orban hat zwar die besten Chancen, von Johannis mit dieser Aufgabe beauftragt zu werden. Doch es ist nicht ausgemacht, dass die Ad-hoc-Mehrheit, die das Kabinett Dăncilă zum Sturz brachte, eine neue, bürgerliche Konstruktion unterstützen wird. Um sich die Stimmen jener Abgeordneten zu sichern, die früher bei den Sozialdemokraten oder bei ihren kleineren Alliierten waren, muss das wirtschaftsliberale Lager Posten im künftigen Kabinett anbieten. Diese Art Kuhhandel wird der PSD seit Jahren vorgeworfen. Der einzig vernünftige und ehrliche Ausweg wäre eine vorgezogene Parlamentswahl, doch auch dies ist nur dann verfassungsgemäß, wenn nach drei Versuchen keine neue Regierung das Vertrauen der Abgeordneten erhält.

Offen bleibt auch die Frage, wie der Posten des rumänischen EU-Kommissars besetzt wird: Im bürgerlichen Lager kursiert dafür der Name des Europaabgeordneten Siegfried Mureşan. Dieser hat, anders als die PSD-Kandidaten, keine bekannten Integritätsprobleme, vertritt konservative Ansichten und passt damit ins Team von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Er müsste jedoch erst von einer in vollem Umfang zuständigen rumänischen Regierung vorgeschlagen werden - und die gibt es derzeit nicht.

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