Kaum Fang im Netz

Die Fischer am Bodensee haben Angst um ihre Existenz - manche von ihnen sehen ihre Zukunft in Aquakulturen

  • Kathrin Drinkuth, Überlingen
  • Lesedauer: 4 Min.

Gut läuft es nicht für Andreas Geiger. Zwei Netze hat der Berufsfischer an diesem frühen Morgen schon aus dem kalten Wasser des Bodensees gezogen, aber in der Kiste in seinem Boot liegt bislang nur ein einziger Fisch. Es ist der letzte Tag, an dem Geiger hinausfahren kann, denn ab sofort beginnt die Schonzeit für den Felchen, der dann bis zum 10. Januar nicht mehr gefischt werden darf.

Geiger schaut auf das schmale Tier in seiner Kiste. »Der zahlt mir nicht mal den Sprit für das Rausfahren«, sagt er. Wo liegt denn seine Schmerzgrenze? »Wenn das noch zwei oder drei Jahre so weiter geht, dann muss ich sehen, was ich mache.« Als der Fischer knapp anderthalb Stunden später zum Ufer zurückfährt, bedecken die gefangenen Fische - zehn Felchen, ein Saibling - gerade mal den Boden seiner Kiste.

Die Fischer am Bodensee fangen seit Jahren immer weniger Fisch. 263 Tonnen waren es nach Angaben der Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei 2018 - damit lag der Ertrag nur zwei Tonnen über dem historisch niedrigen Wert von 2015. Dramatisch ist vor allem der Rückgang beim wichtigsten Wirtschaftsfisch, dem Felchen. 2018 wurden 127,4 Tonnen Felchen gefangen - ein Rückgang um 35 Prozent gegenüber dem ohnehin schon niedrigen Wert des Vorjahrs.

Auch in diesem Jahr sehen die Zahlen nicht besser aus: Seit April seien die Fänge total eingebrochen, so die Genossenschaft Bayerischer Bodenseeberufsfischer. »Wie lange können Politik und die zuständigen Behörden dem sich abzeichnenden Dilemma am See noch zusehen?«

Fragt man nach dem Grund für die niedrigen Erträge, stößt man immer wieder auf ein Wort: Phosphat. Dessen niedriger Wert im Wasser gilt vor allem bei den Berufsfischern als ein Hauptgrund für den Rückgang. Der Gehalt des Nährstoffes liege bei sechs bis acht Milligramm, sagt die Vorsitzende des Verbands Badischer Berufsfischer, Elke Dilger. Vor einigen Jahrzehnten war der Wert um ein Vielfaches höher. Seither wurde jedoch viel Geld in Kläranlagen gesteckt, um den Phosphatgehalt deutlich zu senken.

Zu stark, sagen manche - und fordern eine moderate Erhöhung des Wertes im Bodensee. Elke Dilger will sich darauf nicht konkret festlegen. Sie sagt: »Wir fordern von der Landesregierung und der Wissenschaft, dass sie nach Möglichkeiten suchen, wie der Bodensee auf natürliche Art wieder mehr Fische produziert.« Fischer Geiger wird deutlicher: Es gebe nur zwei Möglichkeiten. Entweder der Nährstoffgehalt werde angehoben - oder es gebe bald keine Berufsfischer mehr am Bodensee. Schon jetzt arbeite keiner seiner Kollegen mehr im Haupterwerb. Geiger selbst hat sich weitere Standbeine in der Gastronomie und mit Ferienwohnungen geschaffen.

Das Umweltministerium in Stuttgart erteilt der Forderung nach moderater Phosphaterhöhung eine klare Absage: »Der Bodensee ist eines unserer wertvollsten Ökosysteme«, so eine Sprecherin. »Erfreulicherweise befindet er sich derzeit in einem für große und tiefe Alpenseen typischen naturgemäßen Zustand. Das soll auch so bleiben. Deshalb müssen wir weiterhin dafür sorgen, dass der Phosphorgehalt auf einem niedrigen Niveau bleibt.« Eine Erhöhung würde bedeuten, dass die Kläranlagen gedrosselt werden müssten. Das wiederum würde dem gesetzlichen Verschlechterungsverbot, den Grundsätzen der Gewässerreinhaltung, zuwiderlaufen.

Das Agrarministerium verweist auf Untersuchungen, um die Effekte im Bodensee zu verstehen - darunter Projekte wie ein langjährig laufendes Bestandsmonitoring der Fischereiforschungsstelle und Untersuchungen zum Wiederaufbau des Seeforellenbestandes. Die Behörde sagt aber auch: »2019 wird mit aller Wahrscheinlichkeit das Jahr mit dem niedrigsten Felchenertrag seit Beginn der Statistikführung 1910 sein und dabei möglicherweise einen realistischen Ausblick auf die Zukunft geben.« Dies bedeute, dass die Berufsfischerei nicht mehr so weiterexistieren kann.

Eine Lösung sehen manche in der Aufzucht von Fischen in Netzgehegen im Bodensee. Die Genossenschaft »RegioBodenseefisch« will die Pläne für eine solche Aquakultur vorantreiben. Als Pilotprojekt wollen die Befürworter bis zu vier Netzgehege mit einer Größe von 12 mal 12 Metern in einer Tiefe von 30 Metern im Wasser installieren. Der Versuch werde anderthalb bis zwei Jahre umfassen, sagt der Vorsitzende Martin Meichle.

Doch längst nicht alle sind begeistert: Die Mehrheit der Berufsfischer sieht eine Aquakultur im Bodensee kritisch, ebenso wie Naturschutzvereine und Umweltministerium. Die Fischer befürchten unter anderem die Übertragung von Krankheiten auf den Wildbestand, sorgen sich wegen des Kots und des zugeführten Futters im See und fragen sich, ob die Zucht mit der Nutzung des Sees als Trinkwasserspeicher vereinbar ist. Aus Dilgers Sicht debattiert die Politik das Thema zu sehr, anstatt nach Lösungen zu suchen, wie man die natürliche Produktion des Fisches wieder ankurbeln kann. »Es geht hier nicht nur um unsere Existenz als Berufsfischer«, sagt sie. »Wenn es so weitergeht, gibt es auch für den Verbraucher irgendwann keinen Fisch mehr aus dem Bodensee.« dpa/nd

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