LINKE-Politiker leistete sich einen Chauffeur

Der Ex-Landtagsabgeordnete Torsten Krause schweigt vor Gericht weiter zu Betrugsvorwürfen

Wo hat Torsten Krause in den Jahren 2005 bis 2012 wirklich gewohnt, als er Landtagsabgeordneter war und vom Parlament eine Pauschale erhielt, der die Entfernung zwischen dem uckermärkischen Lychen und Potsdam zugrunde lag. Hat er anders als angegeben in Berlin und Potsdam gelebt, dann hat er insgesamt 71 945,83 Euro zu viel kassiert. Das Amtsgericht Potsdam muss den Fall klären. Vor einer Woche begann der Prozess. An diesem Freitag ist der dritte Verhandlungstermin.

Beim zweiten Termin am Mittwoch wollte Krauses Verteidigerin Kamila Matthies eigentlich eine Erklärung des Angeklagten zu den Betrugsvorwürfen der Staatsanwaltschaft verlesen. So war es vorher angekündigt. Doch die Verteidigungsstrategie wurde kurfristig geändert. Krause schwieg weiter.

2004 war er in den Landtag eingezogen. Da war er noch Vorsitzender der Landjugend, gerade erst 23 Jahre alt und parteilos. Erst 2005 trat er in die LINKE ein. 2009 verteidigte Krause sein Mandat. Bei der Wahl 2014 trat er nicht wieder an. Begründung: Er wolle in die Wissenschaft und eine Doktorarbeit in seinem Spezialgebiet Kinderrechte schreiben. Doch dann tauchte er nicht in einer Universität ab, sondern als Büroleiter von Sozialministerin Diana Golze (LINKE) wieder im politischen Raum auf. Seine Arbeit als Büroleiter soll er gewissenhaft und zuverlässig gemacht haben, so wie schon vorher in der Linksfraktion. Das wird ihm von seinen Genossen bescheinigt. Als die Staatsanwaltschaft im Februar 2018 eine Bewährungsstrafe gegen Krause beantragte, ließ er sich beurlauben. Dann ging er noch einen Schritt weiter und beendete sein Arbeitsverhältnis.

Insofern reagierte Krause anders als der Ex-Landtagsabgeordnete Peer Jürgens (LINKE). Dieser hatte den Landtag um rund 86 000 Euro Fahrtkosten und Mietzuschüsse betrogen und ist deswegen bereits verurteilt. Jürgens verzichtete nicht von sich aus auf seinen Job als Referent der Linksfraktion und stritt sich noch langwierig vor dem Arbeitsgericht herum. Jürgens war ebenfalls ab 2004 Landtagsabgeordneter, trat im Gegensatz zu Krause auch noch bei der Wahl 2014 an, verpasste aber den Einzug ins Parlament. Jürgens hatte als Wohnsitz erst Erkner und dann Beeskow angegeben, soll aber tatsächlich in Berlin und schließlich mit seiner Frau in Potsdam gelebt haben. Es wurde festgestellt, dass die Wohnung von Jürgens in Beeskow spärlich eingerichtet und ziemlich verdreckt war. Im Kühlschrank soll nur ein Joghurt mit längst abgelaufenem Haltbarkeitsdatum gestanden haben.

Bei Krause sieht es nun etwas anders aus. Offenbar hat er zumindest anfangs eindeutig mit seiner Frau in Lychen gelebt, die er dort heiratete. Die Frau bemühte sich um eine Stelle, fand aber nichts in der Gegend. Um nicht arbeitslos zu bleiben, fing sie als Rechtsanwaltsgehilfin bei einer Kanzlei in Berlin an und pendelte.

Die Krauses hatten eine 115 Qua᠆dratmeter große Wohnung in Lychen gemietet und nebenher eine kleine Bleibe in Berlin. Später suchten sie sich was Größeres in Berlin und verkleinerten sich in Lychen, wo sie dann nur noch eine etwa 60 Quadratmeter große Plattenbauwohnung hatten.

So erklärte es am Mittwoch als Zeuge der einstige Wahlkreismitarbeiter von Krause. Der kannte die Wohnungen in Lychen und beschrieb sie als normal eingerichtet. Auch die Ehefrau habe dort geschlafen. Von den Quartieren in Berlin kannte er nur eins im alten Arbeiterviertel Wedding. Da holte er mal Gartenmöbel ab und transportierte sie nach Lychen. Wenn Berlin Krauses Hauptwohnsitz war, hätte er gar nicht Landtagsabgeordneter werden dürfen.

Dass der Wahlkreismitarbeiter eine Art Chauffeur war, der seinen Chef im BMW bis nach Potsdam kutschierte oder zum Bahnhof nach Fürstenberg/Havel, ist eigentümlich. Das gehört nicht zum klassischen Aufgabenbereich eines Wahlkreismitarbeiters. Minister haben Chauffeure, Abgeordnete fahren in der Regel selbst.

Ungewöhnlich ist auch, dass der Mitarbeiter nicht in einem Büro saß und auf Bürger wartete, die eine Frage haben. Stattdessen fuhr er mit einem VW-Transporter als mobiles Wahlkreisbüro zu Wochenmärkten. So erreichte Krause in der ländlichen Region Bürger, die nicht von selbst zu ihm gekommen wären. So ähnlich machen das andere Abgeordnete bis heute. Aber das ist dem Gericht egal. Die Richterin interessiert vielmehr, dass Krause zu den Sprechstunden auf Wochenmärkten anfangs häufig mitkam, später viel seltener. Sein Mitarbeiter rechtfertigte dies so: Seit 2009 die rot-rote Koalition gebildet wurde, sei Krause in Potsdam stärker eingespannt gewesen.

Eine ehemalige Nachbarin Krauses in Lychen bestätigt, die große Wohnung - sie war mal zum Essen eingeladen - habe keineswegs einen unbewohnten Eindruck gemacht. Das Wahlbüro-Fahrzeug habe sie oft gesehen, Torsten Krause nicht so oft. Aber in der Zeit sei ihr Vater gestorben und sie lag in Scheidung, hatte also andere Sorgen, als sich um die Nachbarn Gedanken zu machen.

Eine andere Nachbarin ist inzwischen 87 Jahre alt, pflegebedürftig und dement - also nicht vernehmungsfähig. Die Richterin zitierte am Mittwoch deshalb aus mehrere Jahre alten Vernehmungsprotokollen der Polizei. Demnach war Krause fast nie zu Hause. »Der Mann war sehr komisch gekleidet«, hatte die alte Dame zu Protokoll gegeben, die Wert auf die Feststellung legte, mit der Linkspartei habe sie nichts am Hut. Angeblich habe er immer schwarze Kleidung getragen. Unter dem Dach habe außer Krause noch eine Frau gewohnt. Seine Gattin habe sie nie gesehen. Daran ist einiges seltsam. Es gebe nämlich keine zweite Wohnung unter dem Dach des Hauses, und außerdem besitze Krause keine schwarze Kleidung, zog Krauses Anwältin den Wert der Aussage in Zweifel.

Tatsächlich liebte Krause damals eine extrem auffällige und sehr bunte Kleidung, wurde zum Beispiel in Anzügen mit kurzen Hosen gesehen. »Wie ein Papagei«, schmunzelt Roland Resch. Der heute 67-Jährige war Anfang der 1990er Jahre mal brandenburgischer Bildungsminister, dann bis zur Rente 2017 Leiter des Naturparks Uckermärkische Seen. Als Parteiloser von den Grünen nominiert und mit Unterstützung der Linkspartei wäre er beinahe mal Landrat der Uckermark geworden. Vorsitzender des Kreistags ist er allerdings gewesen - aber in dieser Zeit nie gemeinsam mit Krause, der dem Kreistag ebenfalls angehörte, zu Sitzungen nach Prenzlau gefahren. Dabei wohnte Resch nur zwei Häuser weiter, unter einem Dach übrigens mit Krauses Wahlkreismitarbeiter.

Im Kreistag ermahnte Resch Krause mal wegen einer kurzen Anzughose, die er für unangemessen hielt. Krause sei nicht zu jeder Sitzung erschienen, verriet Resch. In Lychen habe er ihn selten getroffen. Aber so selten wie es Resch vor drei Jahren der Polizei erzählte, also nur etwa fünfmal, will er Krause nun doch nicht dort gesehen haben. Es könnte auch zehnmal gewesen sein.

Was seiner Meinung nach der Lebensmittelpunkt von Krause gewesen sei, wollte die Richterin von Resch wissen. Der Zeuge zögerte. Als er selbst Minister gewesen sei, habe er die Woche über in Potsdam in einer kleinen Bude »gehaust« und sei am Wochenende bei seiner Familie gewesen, die in Templin lebte. Templin sei sein Lebensmittelpunkt gewesen. Doch die Lebensumstände anderer will Resch nicht vorschnell beurteilen. Von der Wohnung Krauses habe er aus der eigenen Wohnung nur ein Giebelfenster sehen können. Über die Entfernung ließ sich maximal feststellen, ob Licht brannte. Wie oft das Licht eingeschaltet war, könne er nicht sagen.

Roland Resch ist verheiratet mit der früheren Fernsehmoderatorin Carla Kniestedt, die wahrscheinlich in Kürze für die Grünen in den Landtag nachrückt. Auch Kniestedt wurde im Krause-Prozess bereits als Zeugin vernommen. Sie will Krause selten in der Straße gesehen haben. Für den 6. und den 8. November sind zwei weitere Verhandlungstermine schon anberaumt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal