Kontra Kommerz und Monokultur

Die Neuköllner Kneipe Syndikat ist zum Protestsymbol gegen Verdrängung geworden.

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Ende kommen die Touristen. »Als ich mich für ein offenes Tempelhofer Feld engagiert habe, hätte ich nicht gedacht, dass dies der Auftakt sein könnte für das Ende dieses Kiezes, wie ich ihn kannte«, sagt Thomas. Der Gast der Neuköllner Kneipe Syndikat möchte seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen. Die linke Kneipe ist zum Protestsymbol gegen die Verdrängungsprozesse geworden, die derzeit in den Kiezen wüten. In der vergangenen Woche haben die Betreiber*innen das Räumungsurteil für ihre kollektiv geführte Bar erhalten. Das Haus, in dem die Kneipe ist, gehört seit fünf Jahren der Pears Global Group, einem luxemburgischen Firmengeflecht mit Sitz in London. Etwa 3000 Berliner Wohnungen soll der Immobilienriese und seine über 70 Briefkastenfirmen besitzen. Der traditionsreichen, seit 35 Jahren betriebenen Kneipe in der Weisestraße 56 wurde im Oktober 2018 gekündigt.

Thomas lebt seit 2003 im Schillerkiez. Wie viele andere kam er 1988 als Wehrdienstflüchtling in den Westteil der Stadt. Das Syndikat, erinnert sich der Endvierziger, war eine der ersten Kneipen, die er schon Ende der 80er Jahre besuchte. »Hier in der Ecke war ja sonst nichts«, erinnert er sich. Der Stammgast hat die Veränderungen der letzten Jahre hautnah miterlebt. Viele kleine Läden und Kneipen müssen schließen, weil ihnen die neuen Hauseigentümer - in der Regel Immobilienkonzerne - horrende Mieterhöhungen präsentieren, erzählt er. Manchmal kommt gleich die Kündigung. Das betrifft auch viele Mieter*innen. Wohnungen und Gewerbeobjekte werden saniert und zu Luxuspreisen weitervermietet. Um 146 Prozent sind die Mieten in Neukölln in den vergangenen zehn Jahren gestiegen. »Alles, was anschließend neu eröffnet, orientiert sich an den Wünschen eines hier in der Gegend relativ neuen Klientels: Touristen«, sagt Thomas. Angezogen würden diese von der Attraktivität der Wohn- und Geschäftslage in der Nähe des Tempelhofer Feldes.

Ab 2011 sammelte die Initiative »100 Prozent Tempelhofer Feld« Unterschriften gegen die Bebauungspläne für das ehemalige Flughafengeländes durch den Senat. Über 28 000 gültige Stimmen kamen zusammen. 2014 sprach sich die Mehrheit der Berliner*innen in einem Volksentscheid gegen die Randbebauung aus. Danach lagen die Pläne auf Eis. Auch Thomas ist gegen die Bebauung. Schon damals wurde in den feldnah gelegenen Kiezen viel und teuer saniert - seitdem muss die Bewohnerschaft mit ansehen, wie vor allem die soziale und kulturelle Infrastruktur der Gegend konsequent zerstört wird.

Zu der gehört auch das Syndikat. »Hier trinken die migrantischen Leute ihren Tee, hier kommt die Nachbarschaft zusammen, das Bier ist nicht teuer«, zählt Thomas die Vorteile des Ortes auf. Das Motto »Leben und leben lassen« sei im Syndikat nicht nur eine Phrase. Mittlerweile hat sich eine Freundin an den Tisch gesetzt und steigt direkt in das Gespräch ein. »Weißt du«, sagt sie, »wir brauchen keine Monokultur, wir brauchen lebenswerte Quartiere mit gemischter Nutzung aus Wohnen und Kleingewerbe.« Thomas ergänzt: »Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn es das Syndikat nicht mehr gibt.« Um ihn herum sitzen an diesem Abend etwa 50 Menschen, trinken ihr Feierabendbier oder spielen eine Partie Billard. Es ist warm und verraucht, man kann sich trotz der Musik gut unterhalten. In der Kneipe treffen sich Freund*innen und ein halbes Dutzend Mitglieder der AG Nachbarschaft. Ihr Netzwerk, berichten sie, sei im Herbst 2018 entstanden. Auslöser war die Kündigung des Syndikats.

»Wir realisierten, dass zwar einige unserer Wohnungen unter Milieuschutz fallen, aber nicht die Orte, an denen wir uns treffen«, erzählt eine junge Frau. Also habe man Unterstützung anbieten wollen. Sie schätzt vor allem das Unkommerzielle am Syndikat: »Hier herrscht kein Konsumzwang.« Und Solidarität werde großgeschrieben, das Trinkgeld werde für soziale Projekte oder Seenotrettungsorganisationen für Geflüchtete im Mittelmeer gespendet. Ein junger Mann tritt an den Tisch und bittet um Geld für einen Schlafplatz: »Die Kältebahnhöfe sind zu«, sagt er. Für ein Zimmer im Hostel brauche er 20 Euro. Alle, die können, geben ihm etwas dazu.

Zurzeit bereiten die jungen Leute der AG Nachbarschaft sich auf die nächste Bezirksverordnetenversammlung vor. Zweimal schon habe diese sich für den Erhalt des Syndikats ausgesprochen, konkrete politische Handlungen seien daraus aber nicht gefolgt, beklagen sie. Warum sich Berliner Politiker*innen kaum für die selbstorganisierten, alternativen und sozialen Orte der Stadt interessieren, kann auch Christian nicht verstehen. Der Kneipenkollektivist, der mittlerweile zum Gesicht der Kiezkneipe geworden ist, steht hinter dem Tresen und zapft ein Bier. Er spricht auf Kundgebungen, redet mit der Presse und Unterstützer*innen. Bis zu zehn Stunden in der Woche, erzählt Christian, gehen neben der Arbeitszeit mittlerweile für die Vernetzung im Kiez mit den anderen von Verdrängung bedrohten Projekten und Häusern drauf. »Es ist mehr als eine Arbeit, hier entsteht vieles«, sagt der 42-Jährige. Seit zwölf Jahren ist er Teil des Kollektivs, gemeinsam mit sieben anderen. »Für viele Menschen hier wird sich ihr Sozialgefüge massiv verändern«, erklärt er. Das hätten sogar die verstanden, die die Kneipe gar nicht mögen. »Es kommen immer mehr, die sagen ›Ich mag eure Kneipe nicht, aber ihr müsst bleiben‹.«

»Ich mag mir nicht vorstellen, was wäre, wenn es das Syndikat nicht mehr gibt«, sagt Thomas erneut. »Wir machen weiter«, sagt Christian. Es lohne sich immer, zu kämpfen. Vor allem gegen die Ignoranz von Investor*innen und Politiker*innen.

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