Bitterer Schluss, gute Perspektive

Den deutschen Handballerinnen geht am Ende der WM die Puste aus. Somit verpassen sie die Olympischen Spiele 2020. Der Plan war ohnehin langfristig angelegt. Tränen flossen dennoch.

  • Michael Wilkening
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Kraft reichte für 13 Minuten. Danach genügte der Wille allein nicht mehr, um den Traum von Olympia am Leben zu erhalten. Die Handball-Weltmeisterschaft in Japan hat für die deutschen Frauen ein nachvollziehbares, aber keinesfalls passendes Ende gefunden. Im Spiel um den siebten Platz verlor das Team von Henk Groener gegen Schweden deutlich mit 24:35 (13:18) und muss deshalb auf die Sportpolitik hoffen, wenn es im Sommer 2020 bei den Olympischen Spielen in Tokio dabei sein will. Nur bei einem Ausschluss der russischen Mannschaft würden die Deutschen in ein Qualifikationsturnier im kommenden März nachrücken. Weil es bislang keine positiven Dopingtests im russischen Handball gab, ist das aber sehr unwahrscheinlich.

Mit Eventualitäten beschäftigten sich die deutschen Spielerinnen nach ihrem letzten Auftritt bei der WM ohnehin nicht. Schon während der zweiten Halbzeit, als ein Sieg längst nicht mehr möglich war, flossen vereinzelt Tränen auf der deutschen Bank; unmittelbar nach der Pleite gegen die Schwedinnen flüchteten die Deutschen in die Abgeschiedenheit der eigenen Kabine. Mit Ausnahme von Kreisläuferin Julia Behnke wollte niemand sprechen, der Frust und die Enttäuschung mussten zunächst einmal in den eigenen Gedanken eingeordnet werden.

»Ich habe keine Ahnung, was da passiert ist«, sagte Behnke mit leerem Blick. Die Deutschen hatten einen guten Start erwischt, führten nach 13 Minuten mit 8:4, ehe die Schritte kürzer wurden und die Energie beinahe sichtbar die Körper von Behnke und ihren Kolleginnen verließ. Trainer Henk Groener hatte es ebenso gesehen: »Man kann es kurzfassen: Wir hatten Energie für 15 Minuten, um ein solches Spiel zu führen.« Sein Team hatte sich in den vorherigen acht Partien in der Präfektur Kumamoto aufgerieben, gegen Schweden fehlten nun Kraft und Konzentration. »Die Luft war raus«, sagte der Niederländer.

Seine Spielerinnen wären so gerne ein paar Monate später nach Japan zurückgekehrt, um bei den Olympischen Spielen noch einmal die gute Organisation des Gastgebers zu genießen. Abgesehen von den Transfers, die teilweise länger als eine Stunde vom Teamhotel zum Spielort dauerten, hatten die Deutschen wie auch die anderen Mannschaften perfekte Bedingungen. Ansprechend waren zudem die Zuschauerzahlen, denn die Hallen waren überdurchschnittlich gut gefüllt. Gerade in der Vor- und Hauptrunde waren die Tribünen bei anderen Turnieren in der jüngeren Vergangenheit oft nur spärlich besetzt.

Dass es diesmal anders war, ist deshalb bemerkenswert, weil Japan keine Handballnation ist. Die Männer belegten bei der Weltmeisterschaft im Januar trotz eines groß angelegten Investitionsprogramms wegen der Olympischen Spiele im eigenen Land den 24. und letzten Platz. Die Frauen schafften es dank des Heimvorteils in Kumamoto und einer schwächeren Vorrundengruppe immerhin in die zweite Gruppenphase und letztlich auf Rang zehn.

Es lag nicht an den 60 Minuten zum Abschluss gegen Schweden, dass der deutsche Traum von einer neuerlichen Reise auf eine der japanischen Inseln platzte. In der Hauptrunde hatte die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) zwei Chancen, um das Halbfinale zu erreichen, und damit sogar viel mehr als ursprünglich erhofft. In den Partien gegen Serbien (28:29) und Norwegen (29:32) hätte jeweils ein Unentschieden genügt. Vor allem gegen die Serbinnen ließen die Deutschen die Chance auf den Sieg und damit verbunden den größten Erfolg im deutschen Frauenhandball seit zwölf Jahren fahrlässig verstreichen.

Die Perspektive des Verbandes war nicht auf die Spiele in Tokio ausgelegt, sondern auf die vier Jahre später in Paris. »Wir haben grundsätzlich das Ziel 2024«, hatte DHB-Sportvorstand Axel Kromer schon während der Vorrunde gesagt, als die deutsche Mannschaft - im Vollbesitz ihrer Kräfte - positiv überraschte. Die Zeit vom Neubeginn im Frühjahr 2018 bis zum Turnier in Japan war zu kurz, um eine Spitzenplatzierung zu erwarten. Dennoch wäre sie möglich gewesen.

Bei dieser Weltmeisterschaft zeigte sich, dass die deutschen Handballerinnen Fortschritte gemacht haben. Mit Ausnahme des Spiels gegen Schweden hielten sie alle Partien gegen die Spitzenteams offen. Gegen Dänemark und die Niederlande gab es Siege, gegen Nordkorea ein Remis. Der Kader hat noch nicht die Breite, um für die hohen Belastungen eines solchen Turniers bis zum Ende gewappnet zu sein. Aber die Potenziale sind erkennbar.

Rechtsaußen Amelie Berger, die bereits ihr zweites großes Turnier spielte, ist als Nummer eins auf ihrer Position gerade 20 Jahre alt, Supertalent Emily Bölk mit 21 Jahren bereits auf dem Weg in die Weltklasse. Mia Zschocke (21), Alicia Stolle (23), Alina Grijseels (23) und Stammtorhüterin Dinah Eckerle (24) werden in den kommenden Jahren stärker werden, hält die derzeitige Entwicklung an. »Wenn man in die Weltklasse kommen will, muss man mindestens so viel arbeiten wie die Weltklasse«, sagte Kromer. Bundestrainer Groener verlangt von seinen Spielerinnen höhere Investitionen in den Sport, eine größere Fokussierung auf den Handball. »Als Halbprofi gewinnt man keine Medaillen«, erklärte der Niederländer, der Anstöße gegeben hat. In Japan war erkennbar, dass seine Spielerinnen bereit sind, mehr zu tun. Auch wenn es im Endergebnis nicht ablesbar ist.

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