Bremse für die Verkehrswende

Verbände kritisieren Tariferhöhungen im Nahverkehr

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Die zum 1. Januar anstehenden Tariferhöhungen beim Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) sind für Fritz Viertel ein »falsches Signal zur falschen Zeit«. Der Brandenburger Landesvorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs VCD ist überzeugt: »Diese Fahrpreiserhöhung wirkt für die Verkehrswende wie Schienenersatzverkehr: Sie bremst aus und demotiviert.«

Besonders Brandenburger Pendler würden durch die Erhöhungen im Berliner Umlandtarifbereich C hart getroffen, so Viertel, der auch Mitbegründer der Volksinitiative »Verkehrswende Brandenburg jetzt« ist. Die Einzelfahrkarte Berlin ABC wird zum Jahreswechsel um fast sechs Prozent teurer und kostet nun 3,60 Euro. Der Preis der Tageskarte Berlin ABC steigt sogar um ein knappes Viertel auf 9,60 Euro. Die Jahreskarte ABC ist mit 1,6 Prozent vergleichsweise moderat teurer geworden, die Kosten übersteigen aber mit nun 1008 statt bisher 992 Euro eine psychologische Marke. Der Preis für die Jahreskarte AB soll aber stabil bleiben.

Neue Fahrpreise ab Januar

Die meisten Einzelfahrscheine für Stadtverkehre im VBB werden zum 1. Januar um 10 bis 20 Cent teurer. Die Vier-Fahrten-Karten in Potsdam und Berlin bleiben preislich stabil.

Deutlich teurer werden Tageskarten in Berlin (AB von 7 auf 8,60 Euro, ABC von 7,70 auf 9,60 Euro), auch die Wochenkartenpreise steigen dort überproportional (AB von 30 auf 34 Euro, ABC von 37,50 auf 41 Euro).

In den kreisfreien Städten bleiben die Monatskartenpreise für das Stadtgebiet stabil, in Berlin und Potsdam steigen sie leicht. Abonnenten in Berlin können sich über stabile Preise freuen, genauso wie Schüler und Azubis. Sozialtickets werden nur in Brandenburg teurer. nic

Der VCD Brandenburg befürchtet daher einen weiteren Anstieg des Pkw-Verkehrs an der Berliner Stadtgrenze, was die bestehenden Verkehrsprobleme vielerorts noch verschärfen wird. »Wir haben jetzt schon in Schöneiche bei Berlin die Situation, dass viele Pendler mit dem Auto zu einem Berliner S-Bahnhof fahren und nicht die Straßenbahn nutzen«, berichtet Viertel, der für die LINKE im dortigen Gemeinderat sitzt.

Die Schöneicher-Rüdersdorfer Straßenbahn hat mit ihrem Mehrheitseigner, der privaten Niederbarnimer Eisenbahn gegen den Willen der beiden Gemeinden, die zusammen nur 30 Prozent am Unternehmen halten, auch auf einer Erhöhung ihres Haustarifs bestanden. Die erwarteten Mehreinnahmen pro Jahr liegen bei mickrigen 800 bis 2000 Euro.

Tatsächlich benötigen die Verkehrsbetriebe in Brandenburg mehr Geld. Um gestiegene Einkommen der Beschäftigten sowie Investitionen in Wagenpark und Streckennetz zu finanzieren. »Aber bei vielen Verkehrsbetrieben sind die Zugewinne durch die Tariferhöhung nicht so, dass sie davon große Finanzierungen stemmen können«, konstatiert Viertel.

»Aus unserer Sicht ist ganz klar, dass das Land in der Pflicht steht, auch Eigenmittel in den ÖPNV zu geben«, sagt der VCD-Vorsitzende. Die Volksinitiative »Verkehrswende Brandenburg jetzt«, für die noch bis 20. August 2020 unterschrieben werden kann, fordert daher unter anderem, dass der Öffentliche Personennahverkehr als kommunale Pflichtaufgabe im Gesetz verankert wird. »Dann muss das Land auch die Finanzierung sichern«, so Viertel.

In Berlin ist schon absehbar, dass nach der deutlichen Lohnerhöhung für die Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) das Unternehmen deutlich ins Minus rutschen wird. Es wird von rund 75 Millionen Euro Verlust für 2019 ausgegangen. Über den Ausgleich des Defizits verhandeln Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) als BVG-Aufsichtsratsvorsitzende und Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) - bisher ohne Ergebnis.

Klar ist, dass die Tariferhöhung auch die Finanzierungslücke in der Hauptstadt nicht schließen wird. »Wir würden uns ein Moratorium bei den Fahrkartenpreisen wünschen, bis die entsprechende Kommission ihr neues Finanzierungskonzept für den Nahverkehr entwickelt hat«, sagt Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB. Rot-Rot-Grün will neben Fahrkartenerlösen und den bestehenden Subventionen weitere Finanzierungsquellen für den Nahverkehr erschließen, hat aber noch keine Ergebnisse dazu vorgestellt.

VBB-Chefin Susanne Henckel hatte im September bei der Vorstellung der neuen Preise diese verteidigt. »Vor dem Hintergrund steigender Kosten bei den Verkehrsunternehmen im VBB kommen wir aber derzeit an moderaten Fahrpreiserhöhungen nicht vorbei«, erklärte sie. Tatsächlich müsste die Landespolitik handeln, um mit der Preiserhöhungslogik zu brechen.

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