Wer macht das Labour-Schiff flott?

Nach der Wahlschlappe in Großbritannien sucht eine Kommission unter Ex-Parteichef Ed Miliband nach den Gründen

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Hoffnung auf eine linke Alternativpolitik, die von Jeremy Corbyns Labourpartei verkörpert wurde, hat bei der britischen Parlamentswahl vom Dezember getrogen: Labour bekam ihr schlimmstes Wahlergebnis seit 1935. Obwohl die Konservativen für eine seit neun Jahren dauernde Austeritätspolitik stehen und einen ausgemachten Lügner zum Premier gewählt hatten, siegten sie auch in bisherigen Labour-Hochburgen in Nord- und Mittelengland haushoch. Eine Parteikommission unter Ed Miliband, Parteichef von 2010 bis 2015, zusammengesetzt aus Vertreter*innen von Gewerkschaften und Basis, untersucht derzeit die Gründe für die Niederlage. Corbyn behauptet bislang, man habe das Argument gewonnen, aber Brexit hätte alles vermasselt. Nein, Corbyn wirkte auf Traditionswähler wie Gift und hat sie abgeschreckt, stöhnen vor allem ehemalige Abgeordnete, die nun ihren Job los sind.

Andere sagen wiederum, das 2019 von Labour veröffentliche Reformprogramm »Manifesto« wäre der Grund, und es hätte kein einigendes Band zwischen den Angeboten geboten, denn niemand wusste, wie die Vergesellschaftungspläne finanziert werden sollten.

Milibands Kommission hat bis Februar Zeit, die Gründe für die Wahlschlappe zu prüfen, im März wählen die Mitglieder dann den neuen Parteichef oder Chefin, was für Labour - abgesehen von einer kurzen Übergangsperiode unter Margaret Beckett nach dem plötzlichen Tod des schottischen Hoffnungsträgers John Smith 1994 - noch nicht der Fall war.

Zuerst sollen Anwärter*innen aussortiert werden, zum Kandidieren brauchen sie die Unterstützung von 21 Fraktionskolleg*innen und Nominierungen aus Gewerkschaften, Wahlkreisen oder Labour nahestehenden Organisationen. Ob die ersten beiden Kandidierenden, Emily Thornberry und Clive Lewis, diese Hürden nehmen werden, ist nichtsicher. Die außenpolitische Sprecherin Thornberry und der ehemalige Soldat und Reservist Lewis gelten als Vertreter der linken Mitte, sind keine Corbyn-Freunde und wurden deswegen vor und während des Wahlkampfs von der Führung kaltgestellt; logisch, dass sie sich jetzt wieder zu Wort melden.

Als chancenreicher werden im Augenblick Rebecca Long-Bailey und Sir Keir Starmer betrachtet. Starmer, ein ehemaliger Chef-Staatsanwalt, kommt vom rechten Parteiflügel, hat aber als Brexit-Sprecher Corbyn treu gedient und grenzt sich in seinen Reden von Tony Blairs New Labour-Linie ab. Viele sehen in ihm das Format eines Premiers im Wartestand, was Jeremy Corbyn nie der Fall war. Long-Bailey wird vom Corbyn-Intimus John McDonnell als Favorit für eine Weiterführung des harten linken Kurses unterstützt. Da Hunderttausende Neumitglieder nach 2015 in die Partei strömten und mehrheitlich links standen, hat sie gute Siegeschancen. Allerdings weiß niemand, wie ernüchternd das Ausmaß der Wahlschlappe auf die Mitgliedschaft gewirkt hat. Zudem scheint Long-Bailey in Interviews dröge, es fehlt ihr wohl an selbstständigen Ideen.

Weitere Ehrgeizige nehmen schon am inoffiziellen Schaulaufen teil. Lisa Nandy vertritt wie Long-Bailey einen nordenglischen Wahlkreis, hat wie von ihren Wählern gewünscht letzten Endes im Unterhaus für Johnsons Brexit gestimmt, strebt jedoch wie Starmer und Thornberry eine möglichst enge Zusammenarbeit mit den verbliebenen EU-Partnern an. Jess Phillips aus Birmingham ist ebenfalls Corbyn-Kritikerin,wirbt für sich mit volkstümlichen Sprüchen und wäre als Mediensprecherin sicher eine Bereicherung fürs Schattenkabinett; ob sie das Zeug zur Parteichefin hat, ist jedoch zweifelhaft.

Auch der schwarze Londoner David Lammy erwägt derzeit eine Kandidatur. Er wäre Labours erster Führer, der aus einer ethnischen Minderheit stammt. Letztlich hat jedoch im Augenblick Premier Boris Johnson die besten Karten; auch wenn er sie schlecht ausspielt, wird es jede Corbyn-Nachfolgerin oder jeder Nachfolger schwer haben.

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