Keine Diskussion mehr möglich

Die Debatten werden aggressiver - das hat Folgen für Journalisten und Leser

  • Katja Choudhuri
  • Lesedauer: 4 Min.

»Schweigen im Netz wegen Hasskommentaren«, so lautete im Juli die Überschrift einer kleinen Meldung auf unserer Webseite. Doch die hatte es in sich: Einer Analyse des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft zufolge ziehen sich immer mehr Menschen aus Internet-Diskussionen zurück. Der Grund: der wachsende Hass in den Debatten. Viele der Befragten gaben an, dass sie bereits der Hassrede in den sozialen Netzwerken zum Opfer gefallen oder zumindest auf die sogenannte Hate Speech, also Hasskommentare, gestoßen sind.

Wer sich zum Beispiel auf Facebook schon einmal in ein AfD-Forum verirrt hat, weiß: Die Stimmung ist gereizter, immer öfter wird mit Beleidigungen, Anfeindungen oder gar unverhohlenen Gewaltandrohungen »argumentiert«. Was in den Kommentarspalten bei Instagram, Facebook oder Twitter zu lesen ist, stößt ab und ist nach Ansicht von Fachleuten eine Gefahr für die Demokratie und Meinungsvielfalt. Auch wenn Studien gezeigt haben, dass der Hass im Netz von zahlenmäßig eher wenigen Leuten befeuert wird, darf man die Auswirkungen ihres Tuns nicht unterschätzen. Hasskommentatoren schüchtern Personen, die anderer Meinung sind, massiv ein, mit der Folge, dass diese sich aus Diskussionen zurückziehen. Eine fatale Entwicklung für den demokratischen Diskurs. Studien haben zudem gezeigt, dass es sich bei Hate Speech »aus dem rechtsextremen Spektrum um ein besonders virulentes Problem« handelt, da die Hasskommentare gezielt und konzertiert eingesetzt werden.

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Hate Speech

»Hate Speech« kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt »Hassrede«. Mit menschenverachtenden Aussagen werden Einzelne oder Gruppen abgewertet. Hassrede findet vor allem online und in den sozialen Netzwerken statt. Sie verletzt die Würde von Menschen und ist somit ein Angriff auf rechtsstaatliche Prinzipien.

Betroffen sind in der Regel Personen, die auch in der »realen« Welt immer häufiger Angriffen ausgesetzt sind, zum Beispiel People of Colour (PoC), Juden, Muslime oder Homosexuelle. Ein Großteil der Hasskommentare (77 Prozent) lässt sich Studien zufolge »dem rechtsextremen Spektrum zuordnen«, etwa 9 Prozent der Kommentare seien »linksextrem«, die verbleibenden 14 Prozent sind »ausländischen oder religiösen Ideologien beziehungsweise keiner konkreten politischen Motivation zuzuordnen«.

Männer sind übrigens geringfügig häufiger von Hassrede betroffen als Frauen. Während Männer eher Ziel von Beschimpfungen werden oder ihnen mit Schlägen gedroht wird, erfahren Frauen häufiger sexualisierte Gewaltandrohungen.

Insbesondere das rechte Spektrum nutzt Hasskommentare oder sogenannte »Shitstorms« in den sozialen Medien, um gezielt koordinierte Meinungsmache zu betreiben. Der Diskurs wird oft von rechtsextremen Kommentatoren dominiert. Allerdings: Es handelt sich bei diesen Kommentatoren um eine Minderheit, die jedoch umso lautstärker auftritt. So zeigte eine Auswertung von 700 Posts, 16 830 Kommentaren und 1,2 Millionen Likes, dass 5500 Benutzerkonten für 50 Prozent der »Gefällt mir«-Angaben bei Hass in den Kommentarspalten verantwortlich sind.

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Auch für Journalisten sind Hasskommentare ein ernst zu nehmendes Problem. »Seit gestern funktioniert meine Spiegel-Mailadresse nicht mehr«, schrieb der Journalist und Autor Hasnain Kazim Anfang Januar im Kurznachrichtendienst Twitter. »Irgendwie erholsam, dass die täglichen hundert Beschimpfungen und drei bis sieben Morddrohungen mich nicht mehr erreichen.« Der Journalist Richard Gutjahr erhob Ende vergangenen Jahres in einem offenen Brief schwerwiegende Vorwürfe gegen den Bayerischen Rundfunk sowie dessen Intendanten Ulrich Wilhelm. Er sei als »fester freier Reporter« im Kampf gegen rechte Hasskampagnen vom BR alleingelassen worden. Wegen seiner Berichterstattung sei er Morddrohungen, Verleumdungen und einem »Dauerbeschuss« durch »Verschwörungstheoretiker, Neonazis, Reichsbürger« ausgesetzt gewesen, schrieb Gutjahr.

Aber auch Politikerinnen und Politiker sind in hohem Maße von der sich wandelnden Debattenkultur betroffen. Nicht ausführlich zitierbar ist, was die Grünen-Politikerin Renate Künast als »sachbezogene Kritik« hinnehmen sollte. »Stück Scheiße« gehörte noch zu den harmloseren Ausdrücken. Die Bundestagsabgeordnete war 2018 vor dem Berliner Landgericht mit dem Anliegen gescheitert, sich gegen Hasskommentare zur Wehr zu setzen. Sie wollte von Facebook die Herausgabe der Klarnamen von 22 Nutzern des sozialen Netzwerks erreichen, die sie unter einem später gelöschten Beitrag des Rechtsextremisten Sven Liebich schwer beleidigt hatten. Künasts Klage wurde jedoch vom Berliner Landgericht abgewiesen - mit der Begründung, es handele sich bei den Kommentaren in allen Fällen um »zulässige Meinungsäußerungen«.

Dieses Urteil wurde von vielen Seiten als inakzeptabel bezeichnet. Zu Recht, wie sich nun herausstellt. Künast hat in dieser Woche nach ihrer Beschwerde einen Teilerfolg errungen: So seien nach Ansicht der Zivilkammer sechs Kommentare rechtswidrig. Nun drohen den entsprechenden Verfassern rechtliche Konsequenzen. Die aktuelle Entscheidung der Berliner Richter dürfte nun jene befeuern, die meinen, es gebe hierzulande keine Meinungsfreiheit - ein besonders unter Hasskommentatoren und Anhängern von Verschwörungstheorien beliebtes und gängiges Vorurteil.

In einem sind sich die Fachleute einig: Der Hass tobt hauptsächlich in Online-Diskussionen. Diesen Eindruck bestätigen auch die Kolleginnen und Kollegen anderer Leserbriefredaktionen. Bei den Zuschriften zu Beiträgen aus der gedruckten Ausgabe bestehe eine hohe »Bereitschaft zur Sachlichkeit«, erzählt Gaby Sohl, die bei der »Taz« für die Leserbriefe zuständig ist. Und sie führt aus, dass es gerade den älteren Lesern um die Sache gehe, was sich in den Leserbriefen bemerkbar mache.

Beim Berliner »Tagesspiegel« ist das nicht anders, wie mir die Leserbriefredakteurinnen für die gedruckte Ausgabe bestätigen: »Wir glauben, dass es online schlimmer ist.« Die Webseite sei der Ort, wo sich die Kommentatoren gegenseitig »hochschaukeln«. Für sie liegen die Gründe vor allem in der Anonymität des Netzes und der fehlenden Filterung durch die Redaktion. Sie halten es für eine »mutige Entscheidung«, Onlinekommentare auf der Webseite nicht mehr zuzulassen, wie es beim »neuen deutschland« seit längerer Zeit der Fall ist. Die Kolleginnen beim »Tagesspiegel« betonen die schönen Seiten der Kommunikation mit den Leserinnen und Lesern: »Da gibt es auch mal ein Danke.« Dennoch, jede Woche gingen Zuschriften ein, die Hasskommentare enthalten. Diese stammten aber in der Regel von »den üblichen Verdächtigen«. Gleiches gilt für die Zuschriften an die nd-Leserbriefredaktion: Auch wir erhalten, mit wenigen Ausnahmen, sachlich formulierte Kritik und Zuschriften.

Wir werden diesen Aspekten in den kommenden Ausgaben der »nd.Commune« immer wieder nachgehen. Dazu gehört auch, unsere Arbeit mit den Leserinnen und Lesern immer wieder kritisch zu hinterfragen und Ihre Erfahrungen zu Wort kommen zu lassen.

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