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Seilbahnfieber im Flachland
Mehrere Berliner Bezirke träumen von neuen Strecken - unter anderem Pankow
Den Aufschlag machte die SPD Treptow-Köpenick mit dem Plan, eine Seilbahn zwischen Müggelsee, Müggelturm und Bammelecke zu errichten. Der Pankower Bezirksbürgermeister Sören Benn (LINKE) möchte das Thema ebenfalls auf die Agenda setzen, allerdings als Verbindung für den Alltagsverkehr. Da die Zeiträume der Verkehrsplanung in Berlin bisweilen »schon Generationen in Anspruch nehmen« können, wie Benn sagt, war diese Woche der Seilbahnexperte Heiner Monheim im Bezirk zu Gast.
Zwar gibt es in Marzahn-Hellersdorf schon eine Seilbahn, die die Gärten der Welt mit dem U-Bahnhof Kienberg verbindet. Doch sie dient dem Tourismus, ebenso wie die von den Treptow-Köpenickern geforderte Verbindung. Das gilt eigentlich für sämtliche Seilbahnen in Deutschland. Sie binden Skigebiete oder Bergspitzen an, sind aber meist keine Alternativen zu Bus, Bahn oder Auto.
Das soll sich nach Willen von Monheim ändern. Der 73-Jährige ist emeritierter Professor für Angewandte Geographie, Raumentwicklung und Landesplanung und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Mobilität und Verkehr. Mit urbanen Seilbahnen kennt er sich aus: Vor zehn Jahren war er Mitherausgeber eines Buches zu dem Thema. Überdies berät seine Firma raumkom einen der größten Seilbahnhersteller, das österreichische Unternehmen Doppelmayr, in seiner Expansionsstrategie.
Monheim erzählt den etwa 50 Zuhörer*innen im Pankower Rathaus, dass Seilbahnen heute viel mehr können als noch vor einigen Jahren: Kurvenfahrten, Weichenstellungen, bald vielleicht auch Überholungen. Viele Dinge also, die für den Einsatz im urbanen Raum unabdingbar sind. Die größten Kabinen böten Platz für bis zu 35 Personen, Rollstühle und Fahrräder, so Monheim weiter. Dadurch könnten etwa 5000 Fahrgäste pro Stunde und Richtung befördert werden. Deutlich weniger als in S- oder U-Bahnen also, aber durchaus vergleichbar mit Straßenbahnen und Bussen, so der Professor. Mit bis zu 24 Stundenkilometern sollen die Kabinen unterwegs sein. »Das scheint erst mal wenig, ist aber viel«, erklärt er - denn in der Luft gibt es keine Hindernisse wie Ampeln oder Staus. In Berlin könnten Seilbahnen etwa zum Einsatz kommen, um verschiedene Bahnstrecken außerhalb des S-Bahn-Rings zu verbinden. Generell sollten sie möglichst bestehende Verkehrsräume nutzen, führt Monheim aus, denn gerade bei Trassenführungen über Wohngebiete gebe es häufig Widerstand.
»Sie schneidet unter Umweltgesichtspunkten immer sehr, sehr gut ab«, nennt der Forscher einen weiteren Seilbahn-Vorteil: strombetrieben, leise und energetisch sehr effizient, da es kaum Reibung gibt. Eine andere Stärke könnte gerade in Berlin relevant sein: »Seilbahnen werden in Windeseile gebaut« und seien obendrein kostengünstig. Man müsse lediglich Stützen mit Hilfe von Hubschraubern auf vorgefertigte Fundamente setzen und verschrauben, erklärt Monheim. Am teuersten sind die Stationen, die immer individuell gefertigt werden müssten. Damit sie barrierefrei sind, ohne Aufzüge bauen zu müssen, sollen laut Monheim Ein- und Ausstieg ebenerdig erfolgen. Die Seilbahn müsste dementsprechend an den Haltepunkten hinabschweben.
Soweit die Theorie, doch wie wahrscheinlich ist eine praktische Umsetzung in Pankow? »Der Bezirk kann so etwas nicht alleine machen«, sagt Sören Benn. Da von der eigentlich zuständigen Verkehrsverwaltung keine Impulse kämen, hat der Bezirksbürgermeister das Thema gewissermaßen selbst in die Hand genommen: »Wir stehen einfach in der Verantwortung, Lösungen zu entwickeln.« Benn fordert, dass Seilbahnen in die zukünftige Nahverkehrsplanung miteinbezogen werden. Denn sie bräuchten nur wenig Platz - und die Stationen könnten das Umfeld aufwerten, so Benn weiter.
Bei der Verkehrsverwaltung zeigt man sich skeptisch. »Eine Seilbahn ist aus unserer Sicht keine gleichwertige Alternative zu Straßenbahn oder Bus, sondern nur dort sinnvoll, wo beispielsweise Berge zu überwinden sind«, teilte Pressesprecherin Dorothee Winden auf »nd«-Anfrage mit. Zum einen stelle sich die Frage nach der Finanzierbarkeit, denn »Seilbahnen sind immer mit erheblichen Investitionen verbunden«. Andererseits müsse man auch danach schauen, wie viel Sinn sie für den ÖPNV ergäben - gerade wegen Nachteilen wie einer im Vergleich zu Straßenbahnen geringeren Geschwindigkeit und einem höheren Personalbedarf, um das sichere Ein- und Aussteigen zu gewährleisten.
»Mir ist das Anwendungsgebiet noch nicht klar«, meint auch der Verkehrsexperte Christian Böttger, Professor für Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, zu »nd«. Zwar sei die Seilbahn »überall in der Welt als große Heilsbringertechnologie angepriesen« worden, doch bislang habe sie in keinem Industrieland ernsthaft Anwendung in der Verkehrsplanung gefunden.
Umsetzung statt Duseleien
Martin Kröger über die neueste Idee von Regine Günther
Den Hype sieht Böttger auch als Ergebnis cleveren Marketings. »Die Seilbahnhersteller haben die Lösung und suchen nach dem Problem - gerade weil die klassischen Anwendungen in Skigebieten zunehmend wegbrechen.« Dabei gebe es durchaus »einige sehr erfolgreiche Projekte« mit dem Verkehrsmittel. Etwa im bolivianischen La Paz, wo innerhalb von fünf Jahren zehn Seilbahnlinien gebaut wurden, welche die Stadt mit dem höher gelegenen El Alto verbinden. Doch in Berlin gebe es ganz andere Voraussetzungen, merkt Böttger an. Über einen Fluss oder eine Autobahn könne eine Seilbahn durchaus sinnvoll sein, doch als »Kernbaustein des öffentlichen Verkehrs« tauge sie hierzulande nicht - im Gegensatz zu Bussen und Bahnen.
So setzt auch die Verkehrsverwaltung für die Erschließung des geplanten Pankower Neubauviertels Blankenburger Süden auf die Verlängerung der Tram M2. Eine Untersuchung habe gezeigt, »dass die Straßenbahn hier das geeignetste Verkehrsmittel darstellt«, so Sprecherin Winden. Denn diese biete eine »kleinräumige Erschließung« des neuen Gebietes und eine Direktverbindung zum Alexanderplatz sowie zur Ringbahn. Überdies würde eine Seilbahn für den Blankenburger Süden »die Kriterien des Nahverkehrsplanes nicht erfüllen«, so Winden weiter. Dort ist genau festgelegt, unter welchen Bedingungen Seilbahnen in den ÖPNV integriert werden können.
Auch Sören Benn ist für den Straßenbahnausbau. Dieser werde jedoch noch sehr lange dauern, sagt er dem »nd« - und angesichts der vielen Engstellen, die es überall gebe, könne eine Seilbahn durchaus Abhilfe schaffen. Dabei dürfe es auf keinen Fall zu einer »Ausgabenkonkurrenz innerhalb des ÖPNV« kommen, betont Monheim. Seilbahnen könnten nur durch eine Integration in den ÖPNV und eine Vernetzung, wie in Skigebieten, sinnvoll eingesetzt werden. Deswegen fordert der Forscher einen »Masterplan« für Berlin. Dafür wäre auch Benn dankbar. Natürlich sei die Seilbahn »keine Alternative zur Straßenbahn«, so der Bezirksbürgermeister, »sondern ein ergänzendes Verkehrsmittel - und Pionier«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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