Streit bleibt

Die EU und Großbritannien müssen sich noch einmal einigen.

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Frage ist nicht, wer im Brexit-Drama der Gewinner ist und wer Verlierer. Sowohl die Europäische Union als auch Großbritannien haben durch das Gezerre infolge des Referendums vom 23. Juni 2016 mehr als Porzellan zerschmettert. Die Wirtschaft zeigt sich verunsichert, die im Ausland lebenden EU-Bürger*innen sowieso. Auch die Demokratie in Großbritannien wurde arg strapaziert.

Einig war man sich dies- wie jenseits des Ärmelkanals am Ende nur, dass die scheinbar endlosen Verhandlungsrunden und wiederholten Verschiebungen des offenbar unumgänglichen Brexit ein Ende haben sollten. Nun ist mit dem formalen Ende der Mitgliedschaft des Vereinigten Königreiches am 31. Januar 2020 der erste Schritt getan - die Verhandlungen aber beginnen von Neuem, um die künftigen Beziehungen zwischen London und Brüssel zu klären.

Und schon befinden sich die beiden einstigen Partner wieder auf Konfrontationskurs: Der britische Premierminister Boris Johnson lehnt eine Ausdehnung der bis Jahresende vereinbarten Übergangsphase ab. Der Brexit-Vertrag würde eine Verlängerung um ein bis zwei Jahre erlauben. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte die aktuelle Frist »extrem herausfordernd« und warnte vor einem Scheitern der Verhandlungen. Johnson wünscht sich weiter Zugang zum EU-Binnenmarkt, die EU will diesen nur bei Einhaltung der bestehenden Regeln und Standards gewähren. Ohne Freizügigkeit für Bürger könnten auch Waren, Dienstleistungen und Kapital nicht frei fließen.

Was wohl die Gründerväter der britisch-europäischen Zusammenarbeit von diesem Schlagabtausch halten würden? Es war der damalige Premier Winston Churchill, der im September 1946 eine Vision für ein geeintes Europas vorstellte: »Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa errichten«, sagte Churchill. Nichtsahnend, dass selbst der jetzige Brexit-Premier Johnson sich einmal auf ihn berufen würde.

Doch genau die von Johnson gelebte Ambivalenz aus nationalistischem Antrieb und gleichzeitigem Profitinteresse am Gemeinschaftswerk EU kennzeichneten das schwierige Verhältnis zwischen London und Brüssel seit jeher. So zäh wie die Brexit-Verhandlungen bis dato waren, so schwierig gestaltete sich schon der Eintritt Großbritanniens in die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Erst nach langem Ringen konnte der konservative Regierungschef Edward Heath den Beitrittsvertrag am 22. Januar 1972 unterschreiben.

Nun hebt Großbritannien den ewigen Streit auf eine neue Stufe: Erstmals überhaupt verlässt ein Land die EU, die auch deshalb ein Erfolgsmodell nationenübergreifender Zusammenarbeit darstellt, weil es in ihrer bald 70-jährigen Geschichte stets gelungen war, neue Mitgliedsstaaten - vor allem wirtschaftlich - zu integrieren. Dass sich nun Schottland anstrengt, durch eine Abspaltung vom Königreich zurück in die EU zu kehren, kann in Brüssel kaum über den jetzigen Verlust hinwegtrösten.

Denn durch den Brexit schrumpft die politische und wirtschaftliche Bedeutung der EU in der Welt in jedem Fall: Die Einwohnerzahl sinkt von einer halben Milliarde auf 446 Millionen Menschen. Mit Großbritannien geht eine Atommacht und ein ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat verloren sowie die zweitgrößte Volkswirtschaft der Gemeinschaft mit einem bedeutenden Finanzplatz.

»Das ist das Ende. Breakup, fertig.«
Jon Worth über die Sorgen von Briten im EU-Ausland, Labours Fehler und seinen Stinkefinger in Berlin

Nicht nur die Zukunft Großbritanniens ist mit dem Brexit offen, auch die EU muss sich neu erfinden - unter anderem in den weiteren Gesprächen mit dem Vereinigten Königreich. Aus Brüsseler Diplomatenkreisen heißt es bereits, Johnson stelle mit seiner Verhandlungsstrategie erneut die europäische Einheit auf die Probe. Doch die EU-Staaten und -Institutionen selbst haben es in der Hand, ihre Prioritäten festzulegen.

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