Spahn warnt vor Corona-Epidemie

Weitere Infektionen in Deutschland / Mehrere Sportevents weltweit könnten abgesagt werden

  • Lesedauer: 6 Min.

Berlin. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn rechnet hierzulande mit einer Ausbreitung des Coronavirus. »Wir befinden uns am Beginn einer Corona-Epidemie in Deutschland«, sagte der CDU-Politiker. »Die Infektionsketten sind teilweise - und das ist eine neue Qualität - nicht nachzuvollziehen.« Vor diesem Hintergrund sei es fraglich, ob die bisherige Strategie zum Eingrenzen des Virus und zum Beenden der Infektionsketten weiter aufgehe.

In Deutschland waren seit Dienstagabend bis zum Mittwochabend neun Infektionen bekannt geworden. Die Epidemie schlägt zunehmend auch auf die Wirtschaft durch. Sportevents wie das Formel-1-Rennen in Vietnam und die Olympischen Spiele in Tokio sind ungewiss.

Nicht bei jedem Husten zum Arzt

Spahn sagte, noch sei Deutschland in der Phase, mögliche Infektionen frühzeitig zu erkennen und Kontaktpersonen zu isolieren. Es könne aber die Phase eintreten, in der nicht alle Kontakte ermittelt werden könnten. Der Minister rief die Bevölkerung auf, nicht bei jedem Husten zum Arzt zu gehen. Aber die Bürger sollten ihren Hausarzt anrufen, wenn sie innerhalb von 14 Tagen nach einer Reise in ein Risikogebiet Fieber, Husten oder Atemnot hätten. Bei vorhandener Symptomatik und einem Verdacht solle besser einmal mehr auf das Virus getestet werden als einmal zu wenig.

Ein Patient in Nordrhein-Westfalen wurde in der Nacht zum Mittwoch in kritischem Zustand auf die Intensivstation der Uniklinik Düsseldorf gebracht. Der Mann war am Montag mit Symptomen einer schweren Lungenentzündung in einem Krankenhaus in Erkelenz bei Aachen auf der Intensivstation isoliert worden. Nach dpa-Informationen leidet er an einer Vorerkrankung. Die Uniklinik Düsseldorf behandelte auch seine 46-jährige Frau. Am Mittwochabend wurde bekannt, dass eine Mitarbeiterin des Mannes und deren Lebensgefährte ebenfalls infiziert sind.

Das Ehepaar habe in den vergangenen Tagen mit sehr vielen Menschen Kontakt gehabt, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Die Frau hat demnach als Kindergärtnerin noch bis Freitag gearbeitet. Die zwei Kinder des Paares zeigten bisher keine Symptome, sagte Laumann. Ein Test solle klären, ob sie infiziert seien. Auch die Kinder in dem Kindergarten, wo die Frau arbeitet, sollten getestet werden. Unklar war, wo sich das Ehepaar infiziert hat.

Lesen Sie hier: Händewaschen nicht vergessen: Robert-Koch-Institut testet jetzt auch Grippeproben auf das Coronavirus Sars-CoV-2.

Unter den Patienten aus Baden-Württemberg war nach Angaben des Gesundheitsministeriums ein 25-Jähriger aus dem Landkreis Göppingen. Er habe sich vermutlich bei einer Reise nach Mailand mit Sars-CoV-2 infiziert und nach seiner Rückkehr grippeähnliche Symptome entwickelt. Er wird in einer Klinik in Göppingen behandelt.

Bei den anderen Fällen handelt es sich nach Angaben der Uniklinik Tübingen um seine 24 Jahre alte Reisebegleiterin und deren 60-jährigen Vater. Dieser arbeitet als Oberarzt in der Pathologie der Uniklinik. Beide werden im Krankenhaus isoliert behandelt. »Sie sind in gutem Zustand und fühlen sich wohl«, sagte Nisar Malek, Ärztlicher Direktor an der Medizinischen Klinik.

Zudem wurde das Virus bei einem 32-Jährigen im Landkreis Rottweil nachgewiesen, wie das Gesundheitsministerium in Stuttgart mitteilte. Er war kürzlich in Italien gewesen. In Rheinland-Pfalz wurde das Virus Sars-CoV-2, das die Lungenkrankheit Covid-19 auslösen kann, bei einem Soldaten nachgewiesen. Er werde im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz behandelt, teilte die Bundeswehr mit.

Angesichts der Entwicklung stieg die Sorge der Bundesbürger, wie Zugriffszahlen auf Webseiten deutscher Gesundheitsbehörden zeigen. Vor dem Hintergrund des Coronavirus seien die Server überlastet, hieß es am Mittwoch auf Anfrage bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin schrieb auf Twitter: »Der Zugriff auf die RKI-Internetseite ist derzeit eingeschränkt, wegen stark erhöhter Zugriffszahlen.« Auch das Bundesgesundheitsministerium hatte auf Twitter von der eingeschränkten Verfügbarkeit der Web-Startseite berichtet.

Unterdessen wurden Fälle aus anderen europäischen Ländern wie Kroatien, Österreich, der Schweiz, Griechenland und Finnland bekannt. In Italien seien rund 400 Menschen infiziert und davon 12 gestorben, gab der Zivilschutz in Rom bekannt. In Frankreich starb ein 60-jähriger Franzose an Covid-19.

Weltweit steigen die Infektionen an

In Spanien, wo es bereits Fälle auf Inseln gegeben hatte, erreichte das Virus das Festland. Am Mittwoch gab es weitere Infektionen in Madrid, Sevilla, Barcelona, Castellón in Ostspanien und auf Teneriffa. Dort wurde ein Hotel mit rund 1000 Touristen - darunter auch Deutsche - praktisch unter Quarantäne gestellt.

In Brasilien wurde am Dienstag in São Paulo der erste Fall in Südamerika registriert, wie das Gesundheitsministerium mitteilte. Das Portal »G1« berichtete, der 61-Jährige sei zuvor nach Norditalien gereist. Nach Ägypten meldete mit Algerien das zweite afrikanische Land einen Coronavirus-Fall. Der italienische Patient sei vorige Woche eingereist, teilte das Gesundheitsministerium mit.

Im Iran stieg die Zahl der Covid-19-Toten auf 19, wie das Gesundheitsministerium bekanntgab. Demnach wurde das Virus bei insgesamt 135 Menschen aus verschiedenen Teilen des Landes bestätigt. In Südkorea kletterte die Zahl der Infektionen um 284 auf rund 1260 - darunter ein Soldat der US-Streitkräfte. Bisher brachten die Behörden zwölf Todesfälle mit dem Virus in Verbindung.

In China, dem Ursprungsland des Virus, stieg die Zahl der Todesopfer und Infizierten weiter. Wie die Pekinger Gesundheitskommission mitteilte, stieg die Gesamtzahl der Toten auf 2715. Die Zahl der nachgewiesenen Infektionen kletterte um 406 auf über 78 000. Sämtliche neuen Todesfälle und fast alle neuen Infektionen wurden aus der Provinz Hubei gemeldet, wo das Virus in der Millionenmetropole Wuhan ausgebrochen war.

Lufthansa reduziert Flüge nach China

Der Lufthansa-Konzern startete ein Programm zur Kostensenkung. Geplante Neueinstellungen werden derzeit überprüft, ausgesetzt oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, wie das Unternehmen in Frankfurt ankündigte. Darüber hinaus sollen Mitarbeiter zu unbezahltem Urlaub und geringeren Arbeitsvolumen in Teilzeit bewegt werden. Die Lufthansa Group hat bis Ende März sämtliche Passagierflüge zum chinesischen Festland gestrichen.

Auch der Sport bekommt die Folgen der Epidemie zu spüren: Eine Absage des Formel-1-Rennens in Vietnam rückt näher. Ein Funktionär der Gastgeber-Stadt Hanoi schloss eine Streichung der Premiere der Motorsport-Königsklasse in dem Land nicht aus. »Wenn die Situation im März kompliziert wird, wenn es gestoppt werden muss, dann müssen wir es absagen«, sagte der Präsident von Hanois Volkskomitee, Nguyen Duc Chung Chung. Die Premiere auf dem rund 5,6 Kilometer langen Kurs ist für den 5. April vorgesehen.

Auch eine Absage der Olympischen Spiele in Tokio könnte möglich sein. In diesem Fall wären die Veranstalter laut IOC-Mitglied John Coates finanziell ausreichend aufgestellt. »Die Spiele werden nicht abgesagt«, sagte das australische Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees dem »Sydney Morning Herald«. »Aber wenn die Spiele abgesagt werden, ist das IOC in der Lage, den Mitgliedersport und die NOCs (die Nationalen Olympischen Komitees) weiter zu finanzieren.« Coates ist Teil des IOC-Koordinierungsteams für die Tokio-Spiele. dpa/nd

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal