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  • "Super Tuesday" der US-Demokraten

Eine emotionale Nacht für Bernie-Fans

Joe Biden gewinnt am Super Tuesday die meisten Staaten und Delegierten / Bernie Sanders gewinnt vor allem im Westen der USA

  • Moritz Wichmann, Austin, Texas
  • Lesedauer: 6 Min.

»Ich habe die letzten Tage nur wenige Stunden geschlafen«, erzählt Michelle Kassel zu Beginn des Abends, als sie das Publikum in einem Biergarten in Austin begrüßt, über ihren Wahlkampf für Bernie Sanders. Die Frau im blauen Bernie-Shirt hat die Gruppe »Texans for Bernie 2020« gegründet, die Gruppe hat über 50 verschiedene Button-Designs zu Sanders kreiert. Eigentlich arbeitet Kassel als Lehrerin. Sie kommt aus Vermont, ihre Großeltern haben sich vor 40 Jahren als Freiwillige für Sanders in dessen Kampagne für das Amt des Bürgermeisters in Burlington engagiert. Nun führt sie die Familientradition fort und heizt dem Publikum im »Machine Works« mit der Verkündung guter Nachrichten zu Bernie Sanders ein, während im Hintergrund die Wahlberichterstattung von MSNBC auf eine Leinwand projiziert wird.

Einer der rund 150 anwesenden Sanders-Anhänger ist Wolf Larson*. Er ist extra aus Dänemark angereist, um mehrere Tage für Sanders Haustürwahlkampf zu machen. Er spricht Italienisch und hat sich auch in der Wähleransprache in Latino-Nachbarschaften versucht. »Das hat nicht so gut funktioniert«, sagt der Anthropologe, der schon 2016 Sanders unterstützte, lachend. Stattdessen war er dann später in anderen Nachbarschaften unterwegs. Dass er aus Dänemark kommt, hilft für Sanders zentrales Versprechen einer staatlichen Krankenversicherung (»Medicare for all«) zu werben. Er kann von seinen persönlichen Erfahrungen aus Dänemark sprechen und wie es ist, mit staatlicher universeller Krankenversicherung zu leben. »Viele Leute glauben die furchterregenden Stories über Dänemark, die ihnen auf Fox News erzählt werden«, erzählt Wolf.

Trotz Begeisterung für Sanders zeigt er sich am Abend, als die ersten Ergebnisse angezeigt werden, auch nachdenklich. »Dass sich alle Moderaten um Biden gesammelt haben, war smart, das hat Eindruck gemacht. Viele Wähler auch in Austin waren bis zum Ende unentschlossen, ich habe mit Studenten gesprochen, die erst in den letzten Tagen angefangen haben, sich überhaupt zu informieren und die vor allem die letzten Nachrichten zu Biden gesehen haben«, sagt er.

Das erweist sich an diesem Abend als fatal für Bernie Sanders. In vielen Vorwahlstaaten entschieden sich rund die Hälfte der Wähler erst in den letzten Tagen. Davon profitiert in vielen Staaten in hohem Maße Joe Biden. Er reitet auf einer Welle von »free media« zum Sieg in vielen Vorwahlstaaten. So nennen Analysten das Phänomen, wenn ein Kandidat von positiver Berichterstattung profitiert. Die führenden liberalen US-Fernsehsender MSNBC und CNN hatten in den letzten Tagen relativ offenes »Biden-Cheerleading« betrieben.

Die Sanders-Anhänger im »Machine Works« interessiert vor allem das Rennen in Texas. Immer wieder bricht Jubel aus, wenn Auszählungsstände zur Vorwahl im Bundesstaat verkündet werden. Lange Zeit führt Sanders in der Wahlnacht im Lone Star State. Der Grund: Zuerst werden die schon Tage alten Briefwahlstimmen ausgewertet. Die Stimmen vom Super Tuesday selbst kommen am Ende dazu. Am Ende der Nacht jedoch liegt Biden in Texas mit über vier Prozent vorne. Sanders gewinnt zwar den Landkreis um Austin deutlich, anderswo aber holt Biden genug Stimmen, um das auszugleichen.

In vielen anderen Landesteilen gewinnt Biden deutlicher als in Texas. Er gewinnt in North Carolina, wo sich das Sanders-Lager noch Tage zuvor Chancen ausgerechnet hatte. Er holt wie erwartet den Südstaat Alabama mit seiner eher konservativen schwarzen Wählerschaft. Während Sanders noch 2016 Oklahoma offenbar nur wegen Anti-Hillary-Stimmen knapp gewonnen hatte, verliert er den Staat nun deutlich an Biden. Auch die ländlich geprägten Staaten Tennessee und Arkansas gehen an den Ex-Vizepräsidenten. Diese Südstaaten votierten schon 2016 für Hillary Clinton. Auch dieses Jahr hat es Sanders kaum geschafft, seine Unterstützung unter den vielen schwarzen Wählern in dieser Region zu verbessern. Er gewinnt zwar jüngere Schwarze, aber nicht ihre Eltern und Großeltern. Am deutlichsten aber geht im Süden Virginia an Biden. 53 Prozent der Stimmen erhält Biden dort. Vor allem in den südlichen Vororten der Hauptstadt Washington DC wählen offenbar kurzfristig viele der dort lebenden, eher wohlhabenden, Demokraten taktisch Joe Biden.

In Minnesota laufen nach dem Ausscheiden von Amy Klobuchar einen Tag vorher am Dienstag offenbar fast alle Wähler der Senatorin des einzigen Staates im mittleren Westen, der an diesem Tag wählt, zu Biden über. Sie bescheren ihm dort einen deutlichen Sieg in einem Staat, der eigentlich eine Tradition von »linkem Farmerpopulismus« hat und den Sanders 2016 in der Vorwahl noch klar gewonnen hatte. Auch in Maine und im Heimatstaat von Elizabeth Warren verwehrt wiederum die ehemalige Professorin Sanders entscheidende Prozentpunkte für den Sieg, indem sie in Massachusetts 21 Prozent und in Maine knapp 16 Prozent der Stimmen holt.

Im Westen des Landes ist Sanders in der Super-Tuesday-Nacht erfolgreicher. Er gewinnt den liberalen Bergstaat Colorado, der schon 2014 Marihuana legalisiert hat. Er gewinnt Utah, seinen Heimatstaat Vermont und vor allem das bevölkerungsreiche Kalifornien mit rund 10 Prozent Vorsprung. Dort sind die Schlangen vor den Wahllokalen so lang, dass das Sanders-Team versucht, gerichtlich eine längere Öffnung der Wahllokale durchzusetzen.

Doch zu einer Stimmenspaltung der moderaten Wähler zwischen den zentristischen Kandidaten, wie sie Umfragen noch vor ein bis zwei Wochen zeigten, kommt es Dienstag Nacht kaum. In diesem Szenario wären viele Zentristen in mehreren Staaten unter die 15-Prozenthürde gefallen und hätten dort gar keine Delegierte für den Nominierungsparteitag im Juli erhalten. Nun passiert durch das koordinierte »Joementum« das Gegenteil.

Sanders selbst schrammt nur knapp an der 15-Prozentmarke in Alabama vorbei. In Colorado, Utah und Kalifornien kommen drei beziehungsweise in Letztem zwei seiner Mitbewerber über die Delegiertenhürde und machen den Wahlsieg von Sanders weniger bedeutsam, weil er so weniger Delegierte erhält. Das gleiche passiert selbst in Sanders Heimatstaat Vermont, wo Biden 20 Prozent erhielt und selbst in Sanders »Hinterhof« einige wenige Delegierte erringen kann. Am Ende der Nacht erhält Joe Biden gegenüber dem vorher bei den Parteitagsdelegierten führenden Sanders laut Berechnungen der New York Times über 660 Delegierte. Der demokratische Sozialist kommt dagegen aktuell nur auf unter 600 Delegierte. Damit gewinnt Obamas Ex-Vizepräsident 45 Prozent der am Super Tuesday zu vergebenden Delegierten, der Senator aus Vermont 39 Prozent.

Auf jeden Fall Verlierer des Super Tuesday ist Michael Bloomberg. Der Milliardär hat allein für Anzeigen und Fernsehspots über 500 Millionen US-Dollar ausgegeben, schafft es aber Dienstag Nacht nur einen Bundesstaat zu gewinnen: das kleine Überseegebiet Amerikanisch-Samoa. Er kann am Ende der Nacht nur etwas über 100 Delegierte vorweisen.

»Egal was noch passiert, mobilisiert weiter«, ruft ein schwarzer Aktivist in Austin irgendwann wütend ins Mikrofon. Immer wieder wird es emotional, viele hier haben in den letzten Tagen Haustürwahlkampf für Sanders gemacht, nun jubeln sie bei jeder guten Nachricht für Sanders und buhen Joe Biden bei dessen Rede aus. »Drop out« ruft ein Mann mit einem Bierglas, als Zahlen für Elizabeth Warren über den Bildschirm flimmern. »Von Bernie Sanders lernen heißt, niemals aufgeben«, feuert der Moderator das Publikum an nach vorne zu schauen auf die nächsten Vorwahlen. Das ist nicht ganz unbegründet: Rund 60 Prozent der Delegierten sind noch zu vergeben.

* Name geändert

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