Es gibt auch Gewinner der Krise

Abertausende Firmen profitieren von Corona: Wo die Nachfrage größer als das Angebot ist

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn panische Politiker nahezu den gesamten Einzelhandel lahmlegen - außer Supermärkte und Discounter -, ist dies vor allem für Inhaber kleinerer Geschäfte und ihre Mitarbeiter eine wirtschaftliche Tragödie. 56,2 Prozent der Firmen leiden unter den Folgen der Corona-Pandemie. Da diese Umfrage des Ifo-Instituts in München schon einige Tage alt ist, dürfte der Prozentsatz noch gestiegen sein. Allerdings ergab die Umfrage unter 3400 Firmen in Industrie, Handel und bei Dienstleistern, dass 2,2 Prozent der über drei Millionen Firmen in Deutschland über »positive Auswirkungen« berichten. Auch dieser Anteil dürfte noch wachsen.

Zu den Siegern zählen beispielsweise einige kleinere Start-ups. So hat Happypo dem Infodienst »Gründerszene« verraten, den Umsatz zuletzt versiebenfacht zu haben. Die Po-Dusche des Berliner Unternehmens nutzt lediglich Wasser - Klopapier und der Gang ins überfüllte Einkaufszentrum werden so eingespart.

Kaum überraschen dürfte es auch, dass Pharmagroßhändler wie Phoenix profitieren, die Apotheken beliefern. Derzeit habe man bis 20 Mal so viele Anfragen wie normalerweise, wird ein Firmensprecher in Mannheim zitiert. Der US-amerikanische Konzern 3M, der auch im nordrhein-westfälischen Hilden produziert, stellt in Amerika, Asien und Europa monatlich Millionen Atemschutzmasken her. Die Nachfrage übersteige dank Corona das Angebot. 3M konzentriere sich nun auf das Kerngeschäft, etwa mit Krankenhäusern.

Der Pharmakonzern B. Braun aus Melsungen in Hessen konnte seine Produktion noch einmal um 20 Prozent erhöhen, er stellt unter anderem Desinfektionsmittel her. Derweil freut sich das Lübecker Medizintechnikunternehmen Dräger über einen Großauftrag der Bundesregierung von 10 000 Beatmungsgeräten. Die Erledigung werde sich über das ganze Jahr erstrecken.

Zu den Gewinnern in der Krise rechnet Ifo auch Hersteller von Nahrungs- und Genussmitteln. Anders als in der Automobilindustrie läuft die Produktion auf vollen Touren. So gab der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern Entwarnung: Bei Nestlé gebe es keine Produktionsprobleme. Die gestiegene Nachfrage nach Klopapier, H-Milch und Zitrusfrüchten sowie die Aufhebung des Sonntagsfahrverbots für Lkw sorgt auch in Teilen der Logistikwirtschaft, bei Speditionen und Lagerhaltern für Vollbeschäftigung.

»Keine Angst vor Corona« hat auch Marcell Engel. Gut, Engel ist Profidesinfizierer. Er reinigt beispielsweise Büros, nachdem dort ein Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Vor kurzem habe er ein ganzes Versicherungsgebäude gereinigt, verriet der Firmeninhaber in einem Zeitungsinterview, 3500 Quadratmeter für 10 000 Euro. Die Geschäfte laufen also »sehr gut«. Pro Tag gebe es über 1000 Anfragen. Um seine 300 Beschäftigten zu entlasten, hat Engel die Anrufe in ein Callcenter ausgelagert.

Von der Ruhigstellung des öffentlichen Lebens profitieren auch Streamingdienste und die Firmen, die die Kommunikationsdienste technisch ermöglichen, wie die Deutsche Telekom. Immer mehr Bürger bleiben schließlich zu Hause und arbeiten im Homeoffice etwa am Küchentisch. Auch die Reisebeschränkungen in vielen Ländern beflügeln die berufliche Nutzung von IP-Telefonie, Dateiübertragungen und Videokonferenzen. Die Kinder müssen dann mal still sein.

Teilweise überlastet die hohe Nachfrage selbst die besten Netzwerke. Industrie-, Handels- und Handwerkskammern, aber auch Gewerkschaften können sich vor Anrufen verunsicherter Firmeninhaber und Beschäftigter nicht retten. Dies und die allgemeine Verunsicherung erhöhen die kommerzielle Nachfrage nach Rechtsberatung durch Anwälte und andere freie Berufe.

Nutznießer gibt es sogar unter Zulieferern der Industrie. Beim Ifo-In-stitut geht man davon aus, dass manche Firma für ihre Vorprodukte die Zulieferer gewechselt hat: Statt im Ausland kaufen sie nun bei Herstellern in Deutschland. Ob sich zukünftig dauerhaft neue Logistikketten aufbauen, ist unter Ökonomen allerdings umstritten. Auch der Boom in den Supermärkten könnte noch in eine Flaute münden - wenn die häuslichen Speisekammern voll sind.

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