Weniger Demenz­diagnosen

Fachkongress: Experten disku­tieren möglichen Rück­gang von Alz­heimer und neue Therapien

Was bleibt nach einer Alzheimer-Diagnose? Bisherige Medikamente machen wenig Hoffnung.
Was bleibt nach einer Alzheimer-Diagnose? Bisherige Medikamente machen wenig Hoffnung.

Bei der Therapie der Alzheimer-Demenz sind leichte Fortschritte zu erahnen, wenn etliche Fachleute aus Neurologie oder Psychiatrie recht haben sollten. Mit den Antikörpern Lecanemab und Donanemab stehen seit Kurzem auch in Deutschland neue Therapien zur Verfügung, nachdem in den Jahrzehnten zuvor alle Medikamente ohne Wirkungen auf die Symptomatik blieben. Jedoch sprechen auch nicht alle Patienten auf diese Wirkstoffe an. Insgesamt können die Antidementiva die Krankheit nicht ursächlich heilen, sondern bestenfalls Symptome abmildern und den Verlauf verzögern.

Die neuen Möglichkeiten der genannten Antikörper wurden auf dem DGPPN-Kongress in Berlin in dieser Woche auch als Meilenstein diskutiert. Die Veranstaltung gilt als größter deutschsprachiger wissenschaftlicher Fachkongress für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. In diesem Jahr nahmen über vier Tage 9000 Vertreter dieser Berufsgruppen teil, darüber hinaus auch Fachpflegekräfte oder Studierende.

Laut einer Studie könnte die Gürtelrose-Impfung in gewissem Grade vor Demenz schützen, und zwar vor allem Frauen.

In Sachen Alzheimer sieht DGPPN-Vorstand Frank Jessen mit den genannten Antikörpern den »Anfang einer weitergehenden Entwicklung«, wie er zur Kongresseröffnung sagte. Allerdings musste der Psychiater einräumen, dass es noch eine Herausforderung sei, die neuen Wirkstoffe in die Praxis zu bringen. Mögliche Patienten müssten früh im Krankheitsverlauf identifiziert werden, auch eine aufwendige Bildgebung per MRT sei mehrmals notwendig. Unter anderem diese Bedingung kann nur von großen Praxen oder in Krankenhäusern gesichert werden.

Jedoch gibt es in der Frage der Demenzen auch einen Lichtblick in ganz anderer Beziehung. Denn neue Daten aus diesem Jahr zeigen, dass die Inzidenz bei dieser Gruppe von Krankheiten sinkt. Das heißt, dass je 100 000 Versicherte in den letzten Jahren immer weniger dieser Diagnosen gestellt wurden. Untersucht wurden Abrechnungsdaten aus der vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland. Diskutiert wurden die Ergebnisse dieser Auswertung auch auf dem Berliner Kongress. Der Befund ist deshalb von Bedeutung, weil allgemein wie auch in Fachkreisen davon ausgegangen wurde, dass wegen anwachsender älterer Bevölkerungsgruppen auch Demenzerkrankungen zunehmend häufiger auftreten.

Betrachtet wurden Abrechnungsdaten aus den Jahren 2015 bis 2022; eingeschlossen waren gesetzlich Versicherte ab 65 Jahren, die in dieser Zeit mindestens einmal eine ambulante Versorgung in Anspruch nahmen. Damit waren 88 Prozent der Bevölkerung in der Altersgruppe abgedeckt – heraus fielen unter anderem die privat Versicherten und auch jene, die gar nicht zum Arzt mussten (oder konnten).

Die Inzidenz (also hier die Zahl der Neudiagnosen) sank um 26 Prozent – von 2020 pro 100 000 Versicherte im Jahr 2015 auf 1500 je 100 000 Versicherte im Jahr 2022. Die Prävalenz, also die Häufigkeit der schon früher diagnostizierten und bestehenden Krankheiten, verringerte sich im selben Zeitraum um 18 Prozent von 10 380 auf 8470 pro 100 000 Versicherte. Die Entwicklung zeigte sich vor allem bei den jüngeren Gruppen dieser Seniorinnen und Senioren sowie allgemein bei den Frauen. Die Diagnosen stammten dabei eher aus Hausarzt- als aus Facharztpraxen. Insgesamt fiel die Zahl der diagnostizierten Demenzerkrankungen von 1,56 Millionen im Jahr 2015 auf 1,43 Millionen im Jahr 2022.

In der Veranstaltung auf dem Berliner Kongress wurde nun nach Ursachen für die Entwicklung gesucht. An erster Stelle wurde vermutet, dass sich die Risiken verändert haben. Das bedeutet zum Beispiel, dass in der Altersgruppe ab 65 Jahren inzwischen Generationen mit weniger Rauchern, aber auch mit mehr Bildung (etwa ohne kriegsbedingte Lücken) angekommen sind. Bei letzterem Thema könne von einer größeren kognitiven Reserve gesprochen werden.

Aber auch viele Krankheiten, die das Risiko für Alzheimer oder andere Demenzen erhöhen (wie kardiovaskuläre Leiden oder Diabetes) würden heute besser und früher behandelt, so Bernhard Michalowsky in Berlin. Der Gesundheitsökonom ist am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Greifswald tätig, das zur Helmholtz-Gemeinschaft gehört, und Erstautor der im Sommer 2025 veröffentlichten Analyse.

Weniger erfreulich wäre es, wenn der Rückgang der Diagnosen – die zum großen Teil aus Hausarztpraxen kommen – aus einer verschlechterten Versorgung resultiert. Wenn sich immer weniger Hausarztpraxen um immer mehr Patienten kümmern müssten, könnte es sein, dass dann keine Zeit für die kognitiven Defizite bleibt. Jedoch weisen Studien für die USA und andere westliche Industrieländer ähnliche Entwicklungen von weniger Demenzdiagnosen auf.

Als neuer Einflussfaktor könnte auch die Wirkung der Impfung gegen Herpes zoster (Gürtelrose) hinzukommen. Laut einer Studie, die im Frühjahr veröffentlicht wurde, könnte die Impfung in gewissem Grade vor Demenz schützen, und zwar vor allem Frauen. In Deutschland ist sie seit 2018 möglich, und seit Frühjahr 2025 wird sie bei erhöhtem Risiko allen Personen ab 18 Jahren empfohlen.

Noch nicht ausgewirkt haben sich die anfangs genannten Antikörpertherapien. Auf dem Berliner Kongress wurde in Bezug auf die Risiken für Alzheimer und andere Demenzen weiterer Forschungsbedarf konstatiert – insbesondere auch in Bezug auf Prävention der neurodegenerativen Krankheiten.

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