Kinder der Retromania

The Strokes

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Schöne am Popgeschäft heute ist, dass Pophelden altern dürfen. Und wer hätte gedacht, dass Rockstars eines Tages aussehen würden, als hätten E. T. (Mick Jagger) und Gollum (Keith Richards) zusammen eine Band? Die Strokes sind dagegen erst seit 20 Jahren im Geschäft. Und wahrscheinlich haben sie auf ihrem Dachboden ein Gruppen-Gemälde versteckt, das an ihrer Stelle altert. Denn sie sehen immer noch so aus wie vor 20 Jahren. Auch die Musik der Strokes wirkt jugendfrisch, obwohl sie eigentlich uralt ist. Wenn das mal nicht das »New Abnormal« ist.

Die Strokes sind Kinder der Retromania. Also der Sehnsucht, dass alles so bleibt, wie es gewesen ist, als wir jung waren. Dank ihnen ist Retrotopia (der Ort der allgegenwärtigen Vergangenheit) nicht untergegangen. 2001 war Britpop am Ende. Techno war zu Eurodance degeneriert. Da kamen die Strokes mit ihrem »Is this it«. Und obwohl sie kleine kalifornische Pop-Aristokratie-Lords waren, klangen sie, als seien sie die Enkel der Garagen-Rock-Pioniere The Sonics.

Damals wurden sie vor allem in England gehypt und lösten dort als Band aus den USA eine Art neuen Britpopboom aus. Der Erfolg von Bands wie Franz Ferdinand, Arctic Monkeys oder Maximo Park wäre ohne sie nicht möglich gewesen.

Die ungestüme Phase war nach drei Alben durch. Dann standen die Strokes vor der Frage: Wie entwickelt man sich als Retrophänomen weiter? Man kann unmelodiösen Krach machen, so wie Blur. Man kann einfach immer weitermachen bis es kracht, so wie Oasis. Oder man kann sich, und dafür haben sich die Strokes entschieden, einfach durch die Jahrzehnte weiter vortasten. Beispielsweise von den 60ern in die 80er. Und dann kommt so etwas wie das solide Album »The New Abnormal« dabei heraus.

Es ist alles da, was man als Strokes-Hörer so braucht. Der überschäumende Gesang von Julian Casablancas, straighter Rhythmus und die sich ineinander verwebenden, pizzicatoartigen Gitarrenmelodien. Aber auch die Achtzigerjahre-Synthies sind wieder da. Rick Rubin hat produziert. Das deutet schon darauf hin, dass die Strokes auf der Suche nach Zeitlosigkeit sind.

Der beste Song des Albums ist »Brooklin Bridge Chorus«. Der Song vereint die alten und die neuen Strokes. Abgehender Garagenrock und Synthesizer. Der Song »The Adults are Talking« klingt als hätte die Hannoveraner Dilettantenband 39 Clocks ihre Instrumente spielen können. Das wäre cool geworden! Das interessanteste Stück auf der Platte ist »At the Door«. Eine Synthie-Suite, die klingt, als würden die Strokes den britischen Synthie-Pionieren Human League nacheifern. Allerdings ist die Songstruktur erheblich komplexer. Der Song entfaltet sich ohne Refrain, aber mit derselben Wucht wie einst »Beeing Boiled«. Ein weiterer Höhepunkt ist »Eternal Summer«. Julian Casablances verwandelt sich hier in den Falsett-Kiss-Prince. Der Rest plätschert dahin.

»I want new friends«, singt Casablancas in »Brooklin Bridge Chorus«. Er wird sie finden.

The Strokes: »The New Abnormal« (RCA/Sony Music)

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