Merkel: Lockerungen in Bundesländern teils »zu forsch«

»Diese Pandemie ist eine demokratische Zumutung« / Kritik aus der Opposition

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schwört Deutschland auf eine lange Zeit der Corona-Pandemie ein und warnt vor zu schnellen Lockerungen der Einschränkungen. »Diese Pandemie ist eine demokratische Zumutung«, sagte Merkel in einer Regierungserklärung am Donnerstag im Bundestag. Sie schränke genau das ein, was »unsere existenziellen Rechte und Bedürfnisse sind«. Gleichzeitig äußerte Merkel die Überzeugung, dass zu schnelle Lockerungen Gefahren bergen. Es gehe um eine »Langstrecke«, bei der die Luft nicht zu früh ausgehen dürfe. AfD und FDP kritisierten indes das Krisenmanagement der Regierung.

Bund und Länder hatten in der vergangenen Woche erste Lockerungen für Geschäfte und Schulen beschlossen, die zum Teil bereits in dieser Woche in Kraft getreten sind und je nach Bundesland unterschiedlich ausfallen. Sie trage die Beschlüsse mit und achte die Länder, betonte Merkel, sagte aber auch, die Umsetzung bereite ihr Sorgen. »Sie wirkt auf mich in Teilen sehr forsch, um nicht zu sagen, zu forsch«, mahnte sie. »Wenn wir gerade am Anfang dieser Pandemie größtmögliche Ausdauer und Disziplin aufbringen, dann werden wir in der Lage sein, schneller wieder wirtschaftliches, soziales und öffentliches Leben zu entfalten, und zwar nachhaltig«, sagte Merkel.

Die Kanzlerin betonte, eine solche Situation sei nur akzeptabel und erträglich, wenn die Gründe für die Einschränkungen transparent und nachvollziehbar seien. Sie erklärte nochmals ihr Ziel, möglichst jede Infektion nachvollziehen zu können. Dies nutze Wirtschaft und Gesellschaft, »weil wir dann wieder in der Lage wären, jede Infektionskette konsequent zu ermitteln und das Virus zu beherrschen«. Andernfalls drohe ein Shutdown nach dem anderen.

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sagte, »mit ihrer Begriffsschöpfung 'Öffnungsdiskussionsorgien' hat die Bundeskanzlerin eine Basta-Mentalität offenbart« und forderte, die Schutzmaßnahmen in der Pandemie in die private Verantwortung der Bürger zu überführen. Es müsse diskutiert werden, ab wann die Maßnahmen gegen die Pandemie einen größeren Schaden anrichteten, als die Pandemie selbst.

FDP-Chef Christian Lindner äußerte Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Weil die Zweifel gewachsen seien, »endet heute auch die große Einmütigkeit in der Frage des Krisenmanagements«. Er kritisierte, Merkel erwecke den Eindruck, wer ihren Gedanken von Vorsicht nicht teile, müsse sich Fahrlässigkeit oder Leichtfertigkeit vorwerfen lassen. Lindner zeigte sich überzeugt, dass Gesundheit und Freiheit sich besser vereinbaren ließen als in den vergangenen Wochen.

Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter unterstützte dagegen Merkels Mahnung zur Vorsicht. »Man sollte aufhören, die eigene Freiheit zu verwechseln mit dem Recht des Stärkeren«, sagte Hofreiter an Lindner gerichtet. Man werde mit diesem Virus leben müssen, »bis wir einen funktionierenden Impfstoff haben«, sagte er.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, es sei empörend, dass Unternehmen, die um öffentliche Hilfe nachfragen, Dividenden oder Boni ausschütten wollen. Zugleich kritisierte er die Koalitionspartner CDU und CSU. Es sei nicht hinnehmbar, dass der Bundestag in dieser Woche nicht über die Grundrente spreche. Man könne nicht »Balkonreden« für systemrelevante Berufe halten und auf der anderen Seite die gesetzliche Beratung der Grundrente jenen vorenthalten, die ihr Leben lang in Niedriglohnjobs gearbeitet hätten. Die SPD wolle, dass der Entwurf dazu in der nächsten Sitzungswoche im Parlament gelesen wird.

Die gleiche Kritik kam vom Vorsitzenden der Linksfraktion, Dietmar Bartsch. Es sei eine Frechheit, wenn die Union nun versuchen würde, die Grundrente zu »versenken«. Profitieren würden von der Leistung genau die Menschen, für die derzeit applaudiert werde, unter anderem Kassiererinnen, Pfleger und Paketboten. dpa/nd

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