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Fatimas Augen

Jordanien ist, was Frauenrechte angeht, konservativer als Tunesien, aber viel liberaler als Saudi-Arabien. NGOs wollen die Geschlechterungleichheit im Land ändern.

  • Johanna Montanari
  • Lesedauer: 6 Min.

In einer Nacht Anfang November letzten Jahres erblindete in Jerash, im Norden Jordaniens, die 25-jährige Fatima. Ihr Mann attackierte sie und stach ihr gewaltsam mit bloßen Händen beide Augen aus. Die Kinder, elf, neun und zwei Jahre alt, schliefen schon. Das Ehepaar hatte wiederholt gestritten, der Ehemann fürchtete, seine Frau könnte ihn verlassen.

Anders als seine Nachbarländer - Syrien und Irak zum Beispiel - ist Jordanien selten in den Nachrichten. Jordanien ist eine parlamentarische Monarchie. Staatsoberhaupt König Abdallah II. regiert autoritär. Er bleibt im Amt, auch wenn die Regierungen wechseln. Parteien spielen kaum eine Rolle. Dafür gibt es Stabilität und Sicherheit, während es in den Nachbarländern brodelt. Deren Staatsbürger finden hier zum Teil Zuflucht. Seit 2012 hat Jordanien, das mit seinen zehn Millionen Einwohner*innen relativ klein ist, viele syrische Geflüchtete aufgenommen, gemessen an der Gesamtbevölkerung etwa sechsmal so viele wie Deutschland.

300 Demonstranten - das ist viel

In sozialen Netzwerken wurde über den Vorfall in Jerash intensiv diskutiert. Jordanische Frauenrechtsgruppen riefen zu Demonstrationen unter dem Slogan »Genug!« auf. Über 300 Menschen, die allermeisten von ihnen Frauen, protestierten daraufhin vor dem Sitz des Premierministers. 300 Demonstrant*innen sind viel in einem Land, in dem Protestmärsche extrem ungern gesehen sind, selten erlaubt werden und Frauen am öffentlichen Leben kaum teilnehmen.

Gewalt gegen Frauen ist weltweit ein Thema, das in den vergangenen Jahren verstärkt Aufmerksamkeit erhält. Von Südamerika breitet sich seit 2015 die Bewegung »Ni una menos« aus, die fordert: »Keine einzige weitere Frau soll getötet werden!« Das riefen auch die Sprechchöre der Demonstrant*innen in Jordanien. Sie forderten bessere Gesetze, um Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen. Und sie riefen auch »Nein zu Kinderheirat!« Obwohl in Jordanien das Mindestheiratsalter bei 18 Jahren liegt, werden Frauen in ländlichen Gegenden manchmal viel früher verheiratet. Dies hat vor allem kulturelle, aber häufig auch ökonomische Gründe - Familien in Armut brauchen das Geld, für das sie ihre Töchter verheiraten. Doch das frühe Heiraten führt auch dazu, dass bereits Mädchen zu Müttern werden. Fatima hat ihr erstes Kind mit 14 Jahren bekommen.

Asma Khader ist seit vielen Jahren in der Frauenbewegung in Jordanien aktiv. Die 68-jährige Rechtsanwältin vermittelt mit ihrem »Sisterhood is Global Institute« (SIGI) Wissen über Frauenrechte und Genderfragen, führt Studien durch und macht diese einer breiten Öffentlichkeit bekannt. »Es ist ein Zeichen des Erfolgs der feministischen Bewegung, dass nach dem Vorfall in Jerash so viele Menschen mit klaren und mutigen Slogans demonstriert haben«, sagt Khader.

SIGI leistet Aufklärungs- und Vernetzungsarbeit, sowohl regional als auch national und international. Überall auf der Welt wird gegen patriarchale Strukturen gekämpft. »Austausch ist wichtig, um von den Erfahrungen der anderen zu lernen«, sagt Khader. Jordanien ist, was Frauenrechte angeht, konservativer als Tunesien, aber zum Beispiel viel liberaler als Saudi-Arabien.

Die Politikwissenschaftlerin Aida Essaid ist eine Generation jünger als Khader. Sie leitet eine weitere jordanische NGO, das Informations- und Forschungsinstitut der King-Hussein-Stiftung, mit der sie zu Gender, sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechten in Jordanien forscht. Ende letzten Jahres gab ihr Institut eine Studie zu Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und patriarchalen Strukturen heraus. Froh ist Essaid über die Erfolge der Frauenbewegung, zum Beispiel, dass 2017 endlich ein Gesetz abgeschafft wurde, nach dem Vergewaltiger ihrer Strafe entgehen konnten, wenn sie ihr Opfer heirateten. »Unsere Befunde zeigten jedoch, dass dennoch im Allgemeinen die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht in Jordanien sogar zugenommen hat«, berichtet sie. Das ließe sich unter anderem daran erkennen, wie klein der weibliche Anteil in der lohnarbeitenden Bevölkerung in Jordanien weiterhin sei.

Frauen genießen zwar immer häufiger eine gute Ausbildung, viele schließen ein Studium ab, aber meistens arbeiten sie danach nicht, erzählt Essaid. Nur 14,6 Prozent aller Frauen waren 2018 laut Essaids Institut erwerbstätig. Das hat, fand die Studie heraus, kulturelle Ursachen, liege aber auch an fehlenden öffentlichen Transportmitteln und bezahlbarer Kinderbetreuung. Auch die politische Beteiligung von Frauen sei in Jordanien weiterhin schwach, so Essaid, trotz der seit 2003 eingeführten Frauenquote im jordanischen Parlament, durch die mindestens 15 der insgesamt 130 Sitze an Frauen vergeben werden müssen.

Feminismus hat in Jordanien keinen guten Ruf. Oft wird er als ein vom Westen importiertes Konzept gesehen und ist als Kampfbegriff verschrien. »Wir verteidigen Feminismus als Begriff«, sagt Khader. Sie erzählt, dass sie in ihrem Institut Feminismus als einen Ansatz betrachten, der Gleichheit für alle anstrebt, was sich etwa auch auf behinderte Menschen und soziale Ungleichheit erstreckt. »Manche nennen uns ›Frauenbewegung‹, aber mir gefällt ›feministische Bewegung‹ besser. Denn alle Frauen sind Frauen, aber nicht alle Frauen sind Feministinnen.«

Die feministische Bewegung wachse, so Khader. Männer fühlen sich davon bedroht: »Manche fragen, was Fatima wohl getan habe, weil ihr Mann so reagierte. Sie vermittelten damit, dass sie es verdient hätte.«

Ein Gesetz steht dauerhaft unter Kritik der Frauenbewegung: Es verbietet es jordanischen Frauen, die mit nicht-jordanischen Männern verheiratet sind, ihre Nationalität an ihren Ehemann und an ihre Kinder weiterzugeben. Jordanische Männer können dagegen ihre nicht-jordanische Ehefrau einbürgern lassen. Ein hochpolitisches Thema, denn an die Nationalität sind Privilegien geknüpft. »Damit die Leute hier verstehen, warum Feminismus wichtig ist, braucht es solche Beispiele aus dem jordanischen Kontext«, sagt Essaid.

Ziel: finanzielle Unabhängigkeit

Khader sieht die zentrale Aufgabe darin, Frauen in Jordanien zu empowern und ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu ermöglichen. »Nur wenn du von niemandem finanziell abhängig bist, bist du frei, deine eigenen Entscheidungen zu treffen und den Weg einzuschlagen, den du für den richtigen hältst«, meint sie. Dafür müssten Frauen nicht nur die Möglichkeit haben zu arbeiten, sondern vor allem über ihr Geld frei zu verfügen. Dafür brauche es feministische Bewusstseinsbildung.

Laut Essaid müsste in Jordanien insgesamt an etwas ganz Grundlegendem gerüttelt werden: der Beziehung zwischen Frauen und dem Staat. »Eine Frau ist auf juristischer Ebene immer mit einem Mann verbunden: Erst ist es ihr Vater und dann ihr Ehemann«, erklärt Essaid die hartnäckigen patriarchalen Strukturen. »Solange das so ist, wird sie nicht als vollwertige Bürgerin gesehen«, fasst sie zusammen.

Was in Jerash passiert ist, zeige, wie viel es noch in Jordanien und anderen Ländern zu tun gibt, sagt Essaid. »Kein Land hat bisher das Problem der Gewalt gegen Frauen gelöst. Auch in Jordanien müssen wir viel mehr tun, nicht nur, was gesetzlichen Grundlagen angeht, sondern auch, was gesellschaftliche Vorstellungen und Erwartungen betrifft.« Fatimas Mann ist inzwischen im Gefängnis. Ihr Augenlicht erhält sie damit nicht zurück.

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