»Wir müssen industriell abrüsten«

Der Ökosozialist Bruno Kern hält nichts davon, mit Rettungsprogrammen umweltschädliche Sektoren künstlich aufrechtzuerhalten

  • Lesedauer: 4 Min.

Herr Kern, Krisen zeigen gesellschaftliche Probleme wie unter einem Brennglas. Was sehen wir in der Coronakrise?

Die durch die Pandemie ausgelöste Krise wirft grundsätzliche Fragen bezüglich unseres Verhältnisses zur Natur auf. Entstehung, Ausbreitung und Gefährlichkeit von Viren wie Sars-CoV-2 haben unmittelbar mit dem Vordringen des Menschen in bislang geschützte Naturräume, mit Massentierhaltung, absurden globalen Menschen- und Warenströmen etc. zu tun.

Die Grenzen sind geschlossen, Lieferketten unterbrochen, die Industrie produziert auf Sparflamme. Soll das eine Blaupause sein, um auch die ökologische Krise zu lösen?

Was wir derzeit erleben, könnte man als »degrowth by desaster« bezeichnen, also einen Wachstumsrückgang, der wie ein Naturereignis über uns hereinbricht. Wir wollen hingegen »degrowth by design«, also einen solidarisch organisierten Ausstieg aus dem zerstörerischen Wachstum. Genau dafür müssten aber jetzt die Weichen gestellt werden. Die aktuelle Krise macht die Absurditäten unseres globalen Kapitalismus anschaulich, etwa wenn ein französischer Konzern in Schwierigkeiten gerät, weil er kein Wasser mehr nach China liefern kann. Oder wenn anderswo ein Mangel an Gütern herrscht, die essenziell für unsere Versorgung sind. Re-Regionalisierung wäre eine der wichtigsten Lektionen aus der Krise.

Wie sähe denn ein solidarisch organisierter Ausstieg aus dem zerstörerischen Wachstum aus?

Es darf keine künstliche Aufrechterhaltung von Produktions- und Dienstleistungssparten geben, die die ökologische Zerstörung weiter vorantreiben und das fossile Zeitalter verlängern. Das betrifft beispielsweise Touristikkonzerne, Regionalflughäfen und Billigflugsparten.

Diese Forderung dürfte Hotelangestellte, Stewardessen und Pilot*innen auf die Palme bringen.

Natürlich muss der Rückbau ökologisch schädlicher Sektoren mit Staatshilfen einhergehen, die vorrangig der sozialen Absicherung der betroffenen Beschäftigten dienen. Zudem müssen Staatshilfen im Blick haben, die Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Einzelhandel, überlebenswichtige Wirtschaftsbereiche und regionale Versorger müssen von Rettungspaketen profitieren. Schließlich müsste der Umbau der wesentlichen Bereiche der Daseinsvorsorge, allen voran des Gesundheitssektors, in Angriff genommen werden.

Und was ist mit Großkonzernen wie VW und Daimler?

Die Autoindustrie wird aus ökologischen Gründen erheblich schrumpfen müssen. Deshalb dürfen jetzt Kredite ausschließlich für die Konversion der Produktion im Sinne des Ausbaus des öffentlichen Verkehrs vergeben werden. Die Produktion von SUVs, Sportwagen und Ähnlichem ist zu unterbinden. Ökologisch fatal wäre auch eine neuerliche »Abwrackprämie«, also Kaufanreize für das Wachstum unserer Schrotthalden.

Was halten Sie von einem »Green New Deal«, den Linke fordern und der sich den ökologischen Umbau auf die Fahnen schreibt? Die Debatte ist wegen Corona zwar abgeflaut, aber nicht verschwunden.

Unsere Situation unterscheidet sich grundlegend von der in den 1930er Jahren, als Franklin Roosevelt den »New Deal« erfand: Wir haben schlicht keine Wachstumspotenziale, die wir noch aktivieren dürften. Im Gegenteil: Aus ökologischen Gründen müssen wir industriell abrüsten, weil eine Entkoppelung von BIP-Wachstum sowie Energie- und Ressourcendurchsatz in ausreichendem Maß völlig illusionär ist. Selbstverständlich gibt es erheblichen Investitionsbedarf in vielen Bereichen, etwa beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Dieser zusätzliche materielle Aufwand muss aber an anderer Stelle durch konsequenteren Rückbau kompensiert werden.

Derzeit verbraucht der globale Norden infolge des Lockdowns weniger Energie und Rohstoffe. Sollte das dauerhaft so sein?

Ja, denn auch erneuerbare Energien haben ein beschränktes Potenzial, und die Energiebilanz ist oftmals sehr ernüchternd. Wir haben in Deutschland einen Endenergieverbrauch von rund 2500 Terawattstunden im Jahr. Durch erneuerbare Energien können wir davon etwa ein Drittel bestreiten. Wir kommen um absolute Verbrauchsreduktionen nicht herum. Was die Rohstoffe betrifft, so sind wir in vielen Bereichen auf sehr knappe Reserven angewiesen, zum Beispiel Lithium. Allein aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit dieses Rohstoffs ist das E-Auto als individuelles Verkehrsmittel von vornherein ein imperialistisches Konzept.

Um die Wirtschaften vor dem Absturz in die Rezession zu schützen, werden Staaten neue Schulden aufnehmen. Was halten Sie davon?

Auch Staatsschulden sind ein Wachstumstreiber. Sie dürfen auf keinen Fall durch ein forciertes Wachstum nach der Krise getilgt werden. Ein Erfordernis der Gerechtigkeit ist daher die Heranziehung großer privater Geld- und Sachvermögen in Form einer Vermögensabgabe. Darüber hinaus sind die Spielräume des Staatshaushaltes entsprechend zu nutzen. Ökologisch schädliche Subventionen sind konsequent abzubauen. Das gilt etwa für die Mehrwertsteuerbefreiung für Flugtickets, Steuerbefreiung von Kerosin und Kaufprämien für Elektroautos etc. Der Rüstungsetat ist schrittweise auf null zu reduzieren. Die aktuelle Krise zeigt deutlich genug, dass die Menschheit ganz andere Gefahren zu bewältigen hat als solche, die militärisch zu lösen wären.

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