Der Pazifist

Vor 100 Jahren starb der Schriftsteller Hans Paasche

  • Alexander Bahar
  • Lesedauer: 7 Min.

Vor hundert Jahren, am 21. Mai 1920, wurde auf seinem Gut Waldfrieden bei Wiesental in der Neumark (im heutigen Polen) der Schriftsteller und Kapitänleutnant a.D. Hans Paasche von einem Reichswehr-Soldaten bei einer Haussuchung nach Waffen »auf der Flucht« − wie es hieß –, erschossen.

Paasches Leben und Sterben ist vor dem Hintergrund zunehmender militaristischer und rechtsextremer Tendenzen von beispielhafter Aktualität. Als entschiedener Pazifist und Antimilitarist war er eine von den deutschen Militärbehörden seit Langem mit Argwohn beobachtete Persönlichkeit. Der Beisetzung auf seinem Gut folgten auch Hunderte Bauern, Land- und Forstarbeiter aus der Umgebung. Kurt Tucholsky, prominentester Redner, brachte es auf den Punkt: »Hans Paasche ist ermordet worden. Er fiel auf dem Felde der Ehre, gehasst von den deutschen Militärs, also verehrt von anständigen Menschen.«

Berühmtheit erlangte vor allem Paasches fiktiver, erstmals 1912/1913 in Briefform in der Zeitschrift Vortrupp veröffentlichter Bericht: »Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland«. Darin übte der Autor, der sich hinter der Kunstfigur eines reisenden Afrikaners verbarg, unverhohlen Kritik an Lebensweise, Machtwahn und Kultur-Dünkel der wilhelminischen Gesellschaft.

1881 in Rostock in ein bürgerlich-konservatives Elternhaus hineingeboren, wuchs Paasche in Marburg, Berlin und auf dem Gut Waldfrieden in der Grenzmark auf. Sein Vater Herrmann Paasche war Wirtschaftswissenschaftler, Abgeordneter, später Reichstags-Vizepräsident und Mitglied der Nationalliberalen Partei, die Mutter, Elise Paasche pries in ihren Broschüren die Vorzüge des preußischen Militarismus und die angebliche Niedertracht der Juden. Der Sohn schrieb später vom »Gestrüpp deutscher Erziehung«, durch das er habe gehen müssen, bevor er Mensch wurde.

Hans Paasche schlägt die Laufbahn eines Offiziers der Kaiserlichen Marine ein. 1904 wird er im Dienstgrad eines Oberleutnants zur See als Navigationsoffizier auf den Kleinen Kreuzer SMS Bussard kommandiert, der Wachdienste vor der Küste der Kolonie Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, versieht. Die häufigen Anliegezeiten nutzt er zu Ausflügen, Jagdtouren und Forschungsreisen in das Landesinnere. 1907 werden seine Eindrücke von Menschen und Landschaft unter dem Titel Im Morgenlicht publiziert.

Als sich im Juli 1905 im Süden Deutsch-Ostafrikas die einheimische Bevölkerung im Maji-Maji-Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft erhebt, gerät Paasche, inzwischen »militärischer Befehlshaber im Bezirk Rufidschi«, in ein Dilemma. Während er seine Aufgabe darin sieht, die ihm untergebenen Afrikaner zu schützen, muss er nun den Aufstand niederschlagen, Dörfer plündern, töten lassen und selbst töten. Bereits im August 1909 richtet er ein Telegramm an seinen obersten Vorgesetzten: »Die Aufständischen haben sich zerstreut und wollen Frieden […], halte Auftreten größerer Truppen nicht mehr für nötig […]. Werde in Mahenge mit Jumben [Dorfvorstehern] verhandeln, erbitte Befehle vom Gouvernement.« Paasches eigenmächtiges Bemühen um Frieden hat seine Abberufung zur Folge.

Die Erlebnisse während des Maji-Maji Aufstands bestimmen Paasches weiteres Leben. Zurück in Deutschland, lässt er sich im Rang eines Kapitänleutnants aus der Marine entlassen und heiratet Ellen Witting, Tochter des Bankiers Richard Witting und Nichte des kaiserkritischen Publizisten Maximilian Harden. Die Hochzeitsreise führt die Eheleute durch Deutsch-Ostafrika und das Grenzgebiet von Belgisch-Kongo an die Quellen des Weißen Nils. 1909/1910 lebt das Paar am Victoriasee. Ihr gemeinsam verfasster umfangreicher, mit Fotografien versehener Bericht »Hochzeitsreise nach den Quellen des Nils« ist nur fragmentarisch überliefert.

Zusammen mit Hermann Popert gründet Paasche 1912 den Deutschen Vortruppbund und dessen Zeitschrift Der Vortrupp. Halbmonatsschrift für das Deutschtum unserer Zeit. In seinen Beiträgen widmet er sich dem Naturschutz, »körperlicher Ertüchtigung«, aber auch dem Kampf um ein Stimmrecht für Frauen. Er ist einer der Organisatoren des Freideutschen Jugendtreffens auf dem Hohen Meißner bei Kassel und wird zu einem Führer der buntscheckigen Lebensreformbewegung. Deutlicher als in seinen Beiträgen bekundet er bei öffentlichen Auftritten in Uniform seine pazifistische Gesinnung und warnt vor der Zeit der »betriebsamen Säbelschleifer«. Das endet schließlich damit, dass er aus dem Kreis der zum Tragen der Uniform berechtigten Reserveoffiziere ausgeschlossen wird.

Obwohl er jede Form von Nationalismus und Militarismus verabscheut, erliegt Paasche der auch von der Sozialdemokratie aktiv unterstützten Kriegspropaganda, wonach Deutschland einen Verteidigungskrieg führe. Als Freiwilliger kehrt er zur Kriegsmarine zurück. Frei von Standesdünkel, erlangt er mit seinem Anliegen, die Lebensverhältnisse der Matrosen zu bessern, in der Flotte große Popularität. Er organisiert geheime Zusammenkünfte, in denen politische Positionen der USPD diskutiert werden. Seine Weigerung, am Standgericht über einen Matrosen teilzunehmen, der den Gehorsam verweigert hat, dient den Militärbehörden als willkommener Anlass, ihn bereits im Januar 1916 zu entlassen.

Weil der Vortrupp die Kriegsführung befürwortet, kündigt Paasche seine Herausgeberschaft auf. Sein einstiger Mitherausgeber Popert revanchiert sich, indem er Paasche eine Geisteskrankheit unterstellt. In der Folge betreibt Paasche als Mitglied des pazifistischen »Bund Neues Vaterland«, der 1916 verboten wird, sowie als Gründungsmitglied der daraufhin von Kriegsgegnern gebildeten »Zentralstelle Völkerrecht« eine zielstrebige pazifistische und antimilitaristische Aufklärungsarbeit, verfasst und verschickt Flugblätter, die u.a. die Motive der Kriegstreiber und -gewinnler enthüllen sowie zum Generalstreik in der Munitionsindustrie aufrufen. Im Juli 1917, am Nationalfeiertag des »Erbfeindes«, feiert er mit französischen Kriegsgefangenen ein Freiheitsfest, wobei über seinem Gutshaus die Trikolore weht und ein Grammophon die Marseillaise spielt. Damit hat er nach Ansicht der Militärbehörden den Bogen überspannt. Schon seit Langem überwachen sie seine Tätigkeit und Korrespondenz.

Nach einer im Auftrag des Oberkommandos in den Marken erfolgten Haussuchung durch das Berliner Polizeipräsidium wird Paasche wegen »Aufforderung zum Hochverrat und versuchtem Landesverrat« angeklagt, bald in die »Irrenbeobachtungsanstalt des Zellengefängnisses Moabit« sowie anschließend in ein Berliner Privatsanatorium verlegt, wo er sich »in militärischer Sicherheitshaft« befindet. Nach 13-monatiger Haft wird er im November 1918 von aufständischen Matrosen befreit, zum Reichstag gefahren und in den Soldatenrat der Berliner Garnison gewählt. Schon tags darauf gehört er als Beauftragter für Auswärtiges und Waffenstillstandsbedingungen dem Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte an. Paasches Absicht, ein Volksgericht zu berufen und die Machenschaften der Kriegstreiber bloßzustellen, scheitert am Verrat der Revolution durch die Mehrheits-SPD. Mit der Entmachtung der Räte bereits in der ersten Dezemberwoche verschwindet auch sein Name aus den Dokumenten. Paasches Frau stirbt neunundzwanzigjährig an den Folgen der Spanischen Grippe.

Paasche zieht sich auf sein Gut Waldfrieden zurück, wo er sich wochenlang verbirgt und auch verfolgten Mitgliedern der Münchener Räterepublik eine Zuflucht bietet. 1919 veröffentlicht er »Meine Mitschuld am Weltkriege«. Vordergründig eine Selbstanklage, wird das Buch zu einer Abrechnung mit dem deutschen Militarismus und Imperialismus. Darin finden sich die prophetischen Sätze: »Alles, was der Deutsche kann und hat steht im Dienste brutaler Gewalt, und eines Tages braucht der eine, dem göttliche Weisheit zugeschrieben wird, nur auf den Knopf zu drücken, und alles Deutsche wälzt sich vernichtend über die Erde: Kanonen, Panzerplatten, chemische Industrie, Grenadierknochen, Philosophie, Menschenfleisch, Druckerschwärze, Zement. Ein wüster feldgrauer Brei.«

Am 21. Mai 1920 umzingeln rund sechzig Soldaten des Reichswehr-Schutzregimentes 4 aus Deutsch-Krone das Gut Paasches, der sich im Jahr zuvor der KPD angeschlossen hat. Die Haussuchung folgt auf eine Denunziation bei der Berliner Sicherheitspolizei, »wonach auf dem Gute […] Waffen und Munition für die kommunistische Kampforganisation untergebracht« seien. Zu spät bemerkt Paasche die in einem Hinterhalt beim Gutshaus lauernden Soldaten. Ein Schuss trifft ihn ins Herz. Nach vollbrachter Tat singen die Täter das Lied der Brigade Erhardt. Waffen werden abgesehen von Jagdwaffen nicht gefunden. Paasches Angestellte sagen aus, sein Leichnam habe Spuren von Kolbenhieben aufgewiesen. Doch erst infolge der öffentlichen Empörung sowie auf Verlangen seines einflussreichen Schwiegervaters kommt es zur Eröffnung eines Verfahrens. Das wird am 27. November 1920 eingestellt, »weil eine strafbare Handlung nicht nachweisbar ist. Der Tod des Pazifisten ist auf ein Zusammentreffen nicht voraussehbarer unglücklicher Umstände zurückzuführen, für welche niemand strafrechtlich verantwortlich zu machen ist«, so der zuständige Oberstaatsanwalt. Eine Beschwerde hiergegen beim Generalstaatsanwalt wird am 21. Februar 1921 abgewiesen.

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