Lockdown im Hinterhof

SONNTAGMORGEN

  • Heiko Werning
  • Lesedauer: 3 Min.

Gerade jetzt im Lockdown ist es ein Segen, dass unsere Wohnung in Berlin-Wedding im Erdgeschoss-Parterre ist und die Kinder einfach durch die Wohnzimmertür in den Hinterhof können. Allerdings hat der seine Tücken. Denn nebenan sitzen zwei alte Schranzen, die den Kindern verbieten wollen, draußen zu spielen. Folgen der Gentrifizierung? Von wegen. Zwei klassische Ur-Berlinerinnen. Typische Mecker-Omas. Man vergisst immer angesichts des nervenden Zuzugs von all den Schwaben und Spaniern und Islamern und Veganern und Hipstern und natürlich, nachdem auch noch diese lästigen Zonis dazugekommen sind, dass die Berliner auch vorher schon ganz grauenhafte Gestalten waren.

»Hört auf, so einen Lärm zu machen«, bellen die Schranzen über die Mauer, »Ballspielen im Innenhof ist verboten!« »Wo steht das?«, rufe ich zurück, »in der Hinterhof-Ballspiele-Verordnung?« »Das weiß doch jeder!«, quaken sie, »außerdem hängt da ein Schild im Hinterhof.« »In Ihrem vielleicht«, erwidere ich, »in unserem hängt ein Schild: Ballspielen unbedingt erwünscht.« »Das glaube ich nicht!« »Ich glaube Ihnen auch nicht!« Wir wissen natürlich alle, dass keiner von uns je die Kraft aufbringen wird, im Nachbar-Innenhof zu schauen, ob da Schilder hängen. Und selbst wenn: wäre ja auch egal. Wen kümmern hier irgendwelche herumhängenden Schilder?

Als die Kinder am nächsten Tag zu sehr nerven, schicke ich sie wieder in den Hof zum Spielen. Fünf Minuten später kommen sie mit langen Gesichtern zurück. »Was ist denn los?«, frage ich. »Die Schranzen sind nicht da!«, beklagen sie sich. »Na und?« »Ohne ist’s langweilig. Da können wir ja einfach rumlärmen, das macht doch keinen Spaß.«

Am Abend ist aber alles wieder gut. Wir beschließen, im Hof zu grillen. Während wir die Kohle anheizen, spielen die Kinder Ball. »Ballspielen im Hof ist verboten!«, kräht eine altbekannte Stimme über die Mauer, die Kinder freuen sich. Aber was ist denn das für ein Stimmengewirr da drüben? Ich verzichte auf die übliche Replik, gehe zur Mauer und luge hinüber. Ein halbes Dutzend Schranzen sitzt um einen großen Klapptisch bei Kaffee und Kuchen. Ich grinse. »Hatten Sie etwas gesagt?«, frage ich über die Mauer. »Ihre Kröten veranstalten einen furchtbaren Krach, man versteht kaum sein eigenes Wort!« »Ihr eigenes Wort? Wohl eher das Wort Ihrer zahlreichen Gäste! Was wird denn das: Corona-Party?« »Hä?« »Vom Kontaktverbot haben Sie aber schon mal gehört, oder? Und vom Bußgeldkatalog?« Die Alten starren mich entgeistert an. Schranze zwei fängt sich am schnellsten. »Junger Mann«, sagt sie, etwas gequält lächelnd, »in diesen schweren Zeiten müssen wir alle näher zusammenrücken. Auch als Nachbarn! Wollen Sie zum Grillen nicht ein schönes kaltes Bier? Ich glaube, wir haben noch ein paar Flaschen im Kühlschrank.« Es war dann zwar doch kein Bier, sondern nur Schultheiss. Aber zufrieden setzte ich mich zurück an den Grill. Lockdown im Wedding. Die Stimmung bleibt stabil gut. Heiko Werning

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal