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Mit »Shops« wirft Facebook ein neues Datennetz aus.

Die Nachricht schreckte diese Woche die Wirtschaftswelt auf: Das soziale Netzwerk Facebook will zur globalen Shopping-Meile werden. Der US-Konzern bietet Unternehmen künftig die Möglichkeit, Online-Shops innerhalb des Netzwerkes anzulegen - und begibt sich damit in Konkurrenz zu Amazon. Mit dieser Strategie verfolgt Facebook gleich mehrere Ziele: Es will noch mehr Daten über seine Nutzer sammeln, seine Werbeeinnahmen erhöhen und am Online-Handel mitverdienen. Langfristig ist das Ziel größer: Der Konzern dehnt sein Universum auf immer mehr Lebensbereiche aus, um zur transnationalen Plattform zu werden, auf der man kommuniziert, sich informiert, ein- und verkauft - und irgendwann auch mit einem eigenen Facebook-Geld bezahlt, der Libra. Damit würde das Sammeln der Nutzer-Daten auf eine neue Stufe gehoben.

Das soziale Netzwerk mit seinen knapp drei Milliarden Mitgliedern hat schon mehrere Anläufe unternommen, im Online-Handel Fuß zu fassen, bislang mit keinem durchschlagenden Erfolg. Nun unternimmt es einen neuen Versuch. Und die Tatsache, dass sich Firmengründer Mark Zuckerberg persönlich dabei engagiert, spricht dafür, dass er es ernst meint.

Mit der neuen Funktion »Facebook Shops« sollen Unternehmen und Läden in der Lage sein, mit geringem Aufwand einen Online-Shop im Facebook-Universum einzurichten - nach eigenen Wünschen und kostenlos, nur für die Bezahlung wird eine geringe Gebühr fällig. Über Facebook-Apps wie Messenger, WhatsApp und Instagram können Kunden und Händler miteinander kommunizieren. Zuckerberg bezeichnete dies als »den größten Schritt, den wir bislang getan haben, um in der Familie unserer Apps Handel zu ermöglichen«. Um die Attraktivität des Angebots zu erhöhen, werden andere Online-Handelsriesen eingebunden. So können bestehende Produktkataloge beispielsweise des kanadischen Software-Unternehmens Shopify in »Facebook Shops« importiert werden.

Nach eigenen Angaben will Facebook mit dem neuen Angebot seinen Nutzern »Freude am Shoppen« bieten und gleichzeitig dem Handel helfen, neue Vertriebskanäle zu öffnen. Ganz so uneigennützig aber ist die Strategie nicht. Was will Facebook mit seinen Shops? Zunächst kassiert es für die Zahlungsabwicklung eine kleine Gebühr. Noch sind das geringe Summen. Doch wenn sich die Zahl der Händler vervielfacht, könnte sich hier eine sprudelnde Geldquelle auftun. Zudem will Facebook mit »Shops« einen Teil seiner Kundschaft retten. Denn der stationäre Handel liegt wegen der Corona-Krise am Boden und braucht dringend den Online-Vertriebskanal. Laut einer von Facebook unterstützten Umfrage in den USA hatte im April ein Drittel aller kleineren Geschäfte geschlossen, ein Zehntel stand vor dem Ruin - und Kleinunternehmen sind laut Zuckerberg die »große Mehrheit« seiner Werbekunden.

Wichtigster Grund für den Einstieg in den Online-Handel ist jedoch, dass er Facebook weitere Daten über seine Nutzer zuspielt. »Wir werden sehen, mit welchen Shops die Nutzer interagieren, an welchen Produkten sie interessiert sind, was sie kaufen und so weiter«, sagte Zuckerberg. Diese Datensammlung könnte noch ausgebaut werden, wenn Facebook seinen Plan umsetzt, Treueprogramme verschiedener Anbieter mit dem Facebook-Konto eines Nutzers zu verknüpfen. Gelingt dies, so könnte der Online-Riese sogar Informationen über das Kaufverhalten der Menschen in der analogen Welt erhalten - beispielsweise, ob und wann ein Mensch in sein Lieblings-Café geht, um dort einen Cappuccino mit Treuerabatt zu trinken.

Daten aber sind für Facebook nur Mittel zum Zweck: Werbeeinnahmen. Unternehmen, die auf Facebook werben, dürften künftig mehr dafür bezahlen, da ihre Anzeige direkt mit ihrem Facebook-Shop verknüpft ist. »Unser Werbesystem«, erklärte Zuckerberg den Mechanismus, »funktioniert mit Auktionen, bei denen ein Unternehmen so viel bietet, wie ihm eine Anzeige wert ist. Wenn wir eine Anzeige wertvoller machen können, weil jemand, der sie anklickt, mit größerer Wahrscheinlichkeit etwas kauft, werden wir mehr Geld mit Werbung verdienen.« Das glauben Aktienanalysten auch. Die Shopping-App habe das »Potenzial, zu einem Gewinn- und Umsatzturbo für den Konzern zu werden«, erklärt die DZ Bank. Nicht nur könne Facebook seine Anzeigen teurer verkaufen. Auch »dürften die Verweildauer der Kunden auf Facebook und somit die Werbeerlöse des Konzerns steigen«.

Mit seiner neuen App geht Facebook nun einen weiteren Schritt zur Schaffung einer eigenen Welt, in der die Menschen einen großen Teil ihres »digitalen Lebens« verbringen. Vorbilder dürften dabei die Online-Riesen in China sein. Dort ist WeChat von einer Chatplattform, auf der man sich unterhalten kann, herangewachsen zu einer Mega-App, auf der man einkauft, bezahlt und Bankgeschäfte abwickelt. Auch Alibaba sieht sich als »Lifestyle-Plattform«, auf der die Nutzer ihren Alltag erledigen, von der Essensbestellung über den Kinokartenkauf bis zur Buchung von Reisen oder der Begleichung von Rechnungen. »Die Idee ist, dass die Menschen ihr Leben durch diese Plattform führen«, erklärte ein Vertreter der Alibaba-Tochter Ant Financial der britischen Zeitung »Guardian«.

So entwickeln sich um Alibaba, Facebook und Amazon herum riesige Plattformen, die nationale Grenzen überschreiten. »Aus der Sicht der Plattform-Eigentümer ist es wünschenswert, dass die Konsumenten die Plattform für sämtliche Aktivitäten nutzen«, so eine Forschergruppe um den Ökonomen Markus K. Brunnermeier. Gruppieren würden sich diese digitalen Ökosysteme auf Dauer um ein Zahlungssystem herum, über das die Nutzer einander direkt Geld überweisen, ohne Zwischenschaltung von Banken. Zu einem solchen Ökosystem würden dann auch eigene Währungen gehören - Facebook hat sein digitales Geld »Libra« bereits angekündigt. In China dominieren schon heute die Zahlungssysteme von WeChat und Alipay. Diese digitale Währungsräume könnten sich schrittweise über die ganze Welt ausdehnen, geografische Grenzen kennen sie nicht. Damit dürften sie größer werden als so manche Volkswirtschaften, so Brunnermeier. Allein das Alipay-Netzwerk wickelte 2019 ein Handelsvolumen von sieben Billionen Dollar ab - pro Quartal.

Über diese Zahlungssysteme wachsen die Möglichkeiten der Plattformbetreiber, Daten über ihre Nutzer zu sammeln - was sie kaufen und verkaufen, was sie suchen und mögen, wie viel Geld sie einnehmen und wofür sie es ausgeben. »Eine große zahlungsbasierte Plattform, die eine große Bandbreite von Aktivitäten abdeckt, wäre das ideale Instrument, um Daten zu erheben«, so die Ökonomen. Die Volkswirtschaften entwickeln sich damit in Richtung eines Regimes, in dem die großen Technologie-Unternehmen als systemisch wichtigen Datenvermittler agieren. Eines davon möchte Facebook sein.

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