Blasenkrebs - Berufskrankheit für Kfz-Mechaniker anerkennen

Urteile im Überblick

  • Lesedauer: 4 Min.

Die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert in diesem Zusammenhang über eine Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts (Az. L 3 U 48/13).

Der Fall: Der 1961 geborene Kfz-Mechaniker arbeitete als Mechaniker und Werkstattmeister. Im Alter von 38 Jahren wurde bei ihm ein Blasentumor diagnostiziert.

Von 1964 bis 1994 wurden in Ottokraftstoffen (normal und super) Bleiverbindungen eingesetzt, die krebserregende Substanzen enthielten. Die Berufsgenossenschaft lehnte trotzdem eine Anerkennung als Berufskrankheit ab.

Ein beauftragter Sachverständiger hatte festgestellt, dass bei Kfz-Mechanikern keine »Risikoverdopplung« vorliege. Ein toxikologisches Gutachten, das im gerichtlichen Verfahren eingeholt wurde, bestätigte dagegen, dass die Berührung mit diesen Stoffen mit »hoher Wahrscheinlichkeit« den Harnblasenkrebs verursacht habe.

Das Urteil: Das Landessozialgericht in Darmstadt verpflichtete die Berufsgenossenschaft, bei dem Mann den Blasenkrebs als Berufskrankheit anzuerkennen. Es sei hinreichend wahrscheinlich, dass er mit den giftigen Bleiverbindungen in Kontakt gekommen sei. Eine Verdopplung des Risikos sei nicht erforderlich, entgegnete das Gericht dem Sachverständigengutachten der Berufsgenossenschaft.

In diesem Fall sei auffällig, dass der Mann bereits im Alter von 38 Jahren erkrankt sei. Das mittlere Erkrankungsalter bei Männern betrage aber 70 Jahre. Auch seine Ausbildung und Tätigkeit fielen in den Zeitraum der Verwendung dieser Bleiverbindung. Das Gericht legte auch ein Augenmerk darauf, dass der Mann nicht rauchte. Tabakkonsum spiele ansonsten eine wichtige Rolle bei Blasenkrebs. Dieser scheide hier jedoch als Ursache aus. DAV/nd

Arzt muss auf mögliche Behinderung des Kindes hinweisen

Ärzte müssen werdende Eltern auf eine mögliche schwere Behinderung ihres Kinds hinweisen - auch wenn die Wahrscheinlichkeit mit 12 Prozent niedrig liegt.

Das berichtet die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mit Blick auf eine entsprechende Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19. Februar 2020 (Az. 7 U 139/16).

Der Fall: Die schwangere Frau wurde nicht nur von ihrer Frauenärztin betreut, sondern sie begab sich darüber hinaus in die spezialisierte Behandlung von Klinikärzten. Das taten die werdenden Eltern, um möglichst frühzeitig über Schädigungen des ungeborenen Kindes informiert zu werden. Zuvor hatte die Frau bereits eine Schwangerschaft abgebrochen, als bei dem Embryo das Turner-Syndrom diagnostiziert wurde.

Die Ärzte in der Klinik stellten im Rahmen eines MRT fest, dass das ungeborene Kind an einer Balkenagenesie litt - der Balken zwischen den beiden Gehirnhälften fehlt. In solchen Fällen kommen zwar die meisten Kinder gesund zur Welt, 25 Prozent von ihnen müssen allerdings mit einer Behinderung leben, 12 Prozent mit einer schweren Behinderung.

Die Eltern forderten daraufhin Schadenersatz, weil sie über das Risiko, ein schwer behindertes Kind zu haben, nicht ausreichend aufgeklärt worden seien. Die Frau hatte nachweislich gegenüber den Ärzten von Anfang an deutlich gemacht, dass sie sich einem behinderten Kind nicht gewachsen fühle und beim Risiko einer Behinderung die Schwangerschaft abbrechen würde.

Das Urteil: Vor Gericht hatten die Eltern mit ihrer Schmerzensgeldklage Erfolg. Die Richter kamen zu dem Ergebnis, dass der Arzt die werdenden Eltern bei der Besprechung des MRT-Befundes nicht auf die Möglichkeit einer schweren Behinderung hingewiesen hatte.

Insbesondere einem Arzt sei bekannt gewesen, dass die Frau sich mit der Frage, ein möglicherweise gesundheitlich beeinträchtigtes Kind auszutragen, intensiv auseinandergesetzt habe. Nur weil sie nichts von der Möglichkeit einer Behinderung gewusst habe, habe die Frau das Kind ausgetragen. Fest stehe, dass sie bei Kenntnis einer auch nur geringen Wahrscheinlichkeit einer Behinderung die Schwangerschaft auf legalem Wege abgebrochen hätte.

Nach Anhörung eines Sachverständigen zeigten sich die Richter überzeugt, dass der Schwangerschaftsabbruch im vorliegenden Ausnahmefall gerechtfertigt gewesen wäre. Schon zum damaligen Zeitpunkt wären die außergewöhnlich schweren psychischen Folgen für die Mutter absehbar gewesen.

Die Frau pflegt und betreut ihr behindertes Kind durchgehend und ist heute psychisch stark belastet. Sie leidet seit der Geburt ihres Kinds an einer depressiv-ängstlichen Entwicklung bzw. Anpassungsstörung. Hinzu kommen Schlafstörungen wegen der Angst um das Kind.

Das Gericht sprach der Mutter mit Blick auf diese schwerwiegenden psychischen Folgen ein Schmerzensgeld in Höhe von 20 000 Euro zu. DAV/nd

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